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Politische Sozialisation
Politische Sozialisation
Paul Ackermann (auth.), Paul Ackermann (eds.)
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Categories:
Year:
1974
Edition:
1
Publisher:
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Language:
german
Pages:
344 / 340
ISBN 10:
3531211846
ISBN 13:
9783531211848
Series:
Studienbücher zur Sozialwissenschaft 15
File:
PDF, 28.96 MB
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Studienbiicher zur Sozialwissenschaft Band 15 Paul Ackermann (Hrsg.) Politische Sozialisation Westdeutscher Verlag © 1974 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Umschlaggestaltung: studio fUr visuelle kommunikation, Diisseldorf Satz: Satz Service Berkemeier, Giitersloh Aile Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfaltigung des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. ISBN 978-3-531-21184-8 ISBN 978-3-322-86106-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-86106-1 Inhalt I. Einfiihrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Paul Ackermann Bedingungen, Ziele und Moglichkeiten politischer Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 9 1. Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Historische Perspektiven politischer Piidagogik ..... 2.1. Gesamtgesellschaftliche Entwicklung und die Anfiinge organisierter politischer Erziehung . . . . . . . . . . . . . 2.2. Modernisierung politischer Systeme und die Institutionalisierung politischer Bildung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Soziokulturelle und psychische Bedingungen politischen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Priiformierung politischer Einstellungen im Kindesund Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Schichtspezifische Determinanten politischer Sozialisation und das Problem der politischen Apathie 3.3. Zur Wirkung der Schule innerhalb der Sozialisationsinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anthropologische und politische Priimissen der Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Politische Partizipation und Emanzipation als Zielbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Soziale Differenzierung und Vielfalt der Rollenerwartungen als neue Problemstellung . . . . . . . . . . . . . .. 4.3. Sozialistisches Menschenbild als Erziehungsziel . . . .. 5. Curric; ulumprobleme in der Schule . . . .. . . . . . . .. 5.1. Didaktische Ansiitze der politischen Bildung in der BRD 5.2. Curriculumentwicklung in den USA ........... 5.3. StaatsbUrgerkunde in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Curriculumrevision in der BRD . . . . . . . . . . . . . . . 6. Politische Bildung im au~rschulischen Bereich . . . .. 6.1. Konzepte der Jugendarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Das Verhiiltnis zwischen beruflicher und politischer Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5 9 11 11 14 16 17 18 19 20 20 22 23 23 24 25 26 26 28 28 29 7. Politisches Lernen und politisches System ....... 7.1. Ansiitze zu einer Typologie politischer Sozialisation. 7.2. Stabilitiit oder Wandel: Zur Funktion politischer Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 30 ll. Historische Perspektiven politischer Piidagogik ......... 37 1. J. J. Rousseau: Politische Erziehung . . . . . . . . . . . . . 2. Condorcet: Vorschliige zur Organisation des 6ffentlichen Unterrichtswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. V. 1. Lenin: Die Aufgaben der Jugendverbiinde . . . . . .. 4. A. S. Makarenko: Das Kollektiv als erstes Erziehungsziel . 5. 1. Dewey: Der demokratische Gedanke in der Erziehung . 6. E. Spranger: Probleme der politischen Volkserzichung .. 7. F. Oetinger: Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 38 42 45 52 56 64 68 III. Soziokulturelle und psychische Bedingungen politischen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 71 32 1. F. Nyssen: Kinder und Politik. tiberlegungen und empiri- sche Ergebnisse zum Problem der politischen Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2. W. Jaide: Jugend in den Veriinderungen unserer Welt . .. 90 3. H. Wiesbrock/G. v. Lilienfeld-Toal: Zeithorizont und politisches Verhalten. Ein psychologischer Beitrag zur Grundlegung politischer Piidagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 IV. Politische und anthropologische Priimissen der Didaktik . .. 125 W. Hennis: Das Modell des Biirgers . . . . . . . . . . . . . .. J. Habermas: Politische Beteiligung, ein Wert "an sich"? E. Jouhy: Zum Begriff der emanzipatorischen Erziehung. W. Hilligen: Anmerkungen zu einem SchlUsselbegriff '" 126 138 143 150 V. Curriculumprobleme in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . .. Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. 2. 3. 4. 1. H. Giesecke: Unterrichtsziele im Sozialkundeunterricht der differenzierten Gesamtschule . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lernziele der Social Studies - National Council for the Social Studies - (tibersetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ziele, Hauptaufgaben und Grundsiitze der staatsbiirgerlichen Erziehung der Schuljugend (DDR) .......... , Konzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ., 6 158 164 169 171 4. Ch. Wul[: Politische Sozialisation durch sozialwissenschaftliche Curriculumentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 172 5. W. Hilligen: Dreimal "Emanzipation". Ansatze fUr einen Vergieich der neuen Richtlinien fUr den politischen Unterricht in Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie in 197 Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. H. Taba: Die Entwicklung des Denkens als Ziel der politischen Bildung (Ubersetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 219 VI. Politische Bildung im auf,l,erschulischen Bereich. . . . . . . . .. 239 1. H. Giesecke: Die Jugendarbeit im Sozialisationssystem . .. 2. K. Horn: Konnen gruppendynamische Verfahren Medium politisierender Bildung sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 ............ 267 VII. Politisches Lernen und politisches System 255 1. G. Heinrich: Politische Sozialisation, Politische Kultur und Systemtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 268 2. H.-G. Wehling: Politische Sozialisation in sozialistischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 281 3. G. C. Behrmann: Bedingungen politischer Partizipation und die Grenzen politischer Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . .. 304 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Quellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 341 Autoren der Originalbeitrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 343 7 I. Einfiihrung 8 Paul Ackermann Bedingungen, Ziele und Moglichkeiten politischer Sozialisation 1. Vorbemerkungen Der Begriff "Politische Sozialisation" bezieht sich auf jene bewui.\ten und unbewui.\ten Lemprozesse, durch die Menschen zu politischen Orientierungen und Verhaltensweisen gelangen. Politische Sozialisation ist - zumindest in den USA - zu einem der wichtigsten Forschungszweige der Sozialwissenschaften geworden. Greenstein gibt folgende Definition: "Alles politische Lemen, formales wie zwangloses, vorsatzliches wie ungeplantes, zu jeder Zeit, ein Leben lang, eingeschlossen nicht nur ausdriicklich politisches Lemen, sondern nominell nicht politisches Lernen, dasjedoch politisches VerhaIten beeinflui.\t, wie z.B. Lernen von politisch relevanten, sozialen Einstellungen und Erwerb von Personlichkeitsmerkmalen."l 1m Gegensatz zu den mehr padagogisch orientierten Begriffen, wie politische Bildung und Erziehung, die lange Zeit in Deutschland gebrauchlich waren, werden hier die Bedeutung des intentionalen politischen Lernens etwas relativiert und die gesellschaftlichen politischen Systemzusammenhange, in denen die Prozesse stattfinden, starker betont. Die amerikanische politische Sozialisationsforschung ist aufs engste mit der Entwicklung der Systemtheorie verkniipft. Deren strukturell-funktionale Variante bestimmte weitgehend die Rezeption der amerikanischen Sozialisationsforschung. Gefragt wurde in diesem Zusammenhang nach der Relevanz politischer Lernprozesse fdr das Funktionieren und den Fortbestand politischer Systeme. Je stabiler das System sein solI, desto homogener miii.\ten die LerninhaIte in der gesamten Gesellschaft sein. Versuche anderer systemtheoretischer Variant en, Konflikt und Wandel in das Systemkonzept und damit in die Sozialisationsforschung zu integrieren, blieben in Deutschland unberiicksichtigt. 2 Die gegenwlirtige Diskussion in der Bundesrepublik, die stark durch Vertreter der kritischen Theorie bestimmt wird, brachte eine Verlinderung der Perspektiven. Wahrend in den USA vor aHem die Funktion politischer Sozialisation im politischen System interessierte, steht hier die Forderung autonomer Sozialisationsprozesse und deren politische Wirkungschancen im Mittelpunkt der FragesteHung. In diesem Zusam9 menhang wurde auch die Trennung politischer und allgemeiner Sozialisation fallen gelassen: "Insofern Sozialisation die Menschen dem jeweils gegebenen Herrschaftssystem unterwirft, sie also politisch formiert, kann sie politische Sozialisation genannt werden. Dieser Vorgang geschieht aber in dem dynamischen Gesellschaftssystem der Gegenwart nicht widerspruchsfrei. Die Antagonismen und Risse in unserer gesellschaftlichen Ordnung bieten bei aller UnterdrUckung, die manifest und latent ausgeUbt wird, Chancen der Emanzipation. Politische Sozialisation meint also auch jene Vorgiinge, die dazu fUhren, daf.\ Menschen sich gegen Normierung wehren und Moglichkeiten der Befreiung suchen und erkiimpfen.,,3 Wie die Sozialwissenschaft allgemein, so ist die politische Sozialisationsforschung in den USA stark professionalisiert und hat eine FUlIe von empirischen Ergebnissen hervorgebracht. Das deutsche Defizit auf diesem Gebiet ist vor aIlem dadurch zu erkliiren, daf.\ hier lange Zeit der geisteswissenschaftlich-normative Bezug Uberwog, wenn auch in der BRD in den letzten lahren eine stiirkere sozialwissenschaftliche Orientierung festzustellen ist. "Der hier sichtbare Wechsel der Perspektive, die Abwendung von philosophisch oder historisch abgeleitetem Staatsdenken und die Hinwendung zur Politikwissenschaft und Soziologie ist um so mehr geboten, als diese Wissenschaften zum Problem der Auswahl und BegrUndung von Zielen politischer Bildung, wie zum Problem ihrer Wirkungschancen, priizisere Aussagen machten als die iiltere Piidagogik und deren Gesellschaftsvorstellungen. ,,4 Auf der anderen Seite dUrfte die geisteswissenschaftlich-normative und dialektisch-kritische Tradition der deutschen Politikwissenschaft und politischen Bildung eine rein funktionale Betrachtungsweise politischer Sozialisation verhindern. Mit dem Begriff der "aktiven Anpassung" hat Alexander Mitscherlich die komplexe Problematik der Sozialisation adiiquat beschrieben. Ihre Aufgabe besteht demnach darin "in die Gesellschaft einzuUben und gegen sie immunisieren, wo diese zwingen will, Stereotypen des Denkens und Verhaltens zu folgen, statt kritischer Einsicht". 5 Die Beitriige dieses Bandes spiegeln die verschiedenen Erkenntnisinteressen und theoretischen Ausgangspunkte der politischen Sozialisationsforschung wider. Dabei konnten keineswegs aIle Sozialisationsinstanzen berUcksichtigt werden; der Schwerpunkt liegt bei den organisierten Lernprozessen. Au&rdem ist zu berUcksichtigen, daf.\ dieser Forschungszweig der Sozialwissenschaft in den meisten Liindern noch unterentwickelt und die internationale Kommunikation auf diesem Gebiet noch relativ gering ist. In der folgenden EinfUhrung wird versucht, eine ProblemUbersicht zu geben und den Stellenwert der ein10 zelnen Beitriige des Readers anzudeuten. Dabei gehen wir vor aHem von der Diskussion in Deutschland und den USA aus, wo man sich am meisten mit politischer Sozialisation beschiiftigt hat. Au~erdem haben wir versucht, die sozialistischen Staaten wenigstens teilweise zu beriicksichtigen. Auf Grund des politikwissenschaftlich iiberholten Totalitarismusmodells waren die politischen Lernprozesse in diesen Liindern langezeit nur als Negativfolie gegeniiber den westlichen Demokratien betrachtet worden. 2. Historische Perspektiven politischer Piidagogik Trotz der angedeuteten Einwiinde gegen eine Theorie der politischen Bildung, die sich vor allem als piidagogische Geistesgeschichte versteht, scheint mir die piidagogisch-politische Ideengeschichte "als Lagerhaus der Probleme und Problemlosungen,,6 von einigem heuristischem Wert zu sein. "Erziehung (ist) als Praxis und Theorie notwendig an die realgeschichtliche Entwicklung gebunden: an die okonomischen Bedingungen, an die herrschenden Ideologien, an die jeweilige soziale Schichtung usw. ,,7 Abgesehen von einigen mehr ideengeschichtlich ausgerichteten Arbeiten fehlt es weitgehend an Untersuchungen iiber den Zusammenhang von gesamtgesellschaftlicher Entwicklung und politischer Erziehung. Eine differenzierte historische Analyse konnte wichtige Hinweise iiber die Bedingungen, Moglichkeiten und Grenzen politischer Erziehung geben. Innerhalb unseres Rahmens ist es nicht moglich, die historische Entwicklung der politischen Sozialisation zusammenzufassen. Es soli vielmehr anhand einiger beispielhaft ausgewiihlter Texte die Frage nach den Bedingungen und der Funktion politischer Erziehung innerhalb verschiedener politischer Systeme aufgeworfen werden. 2.1, Gesamtgesellschaftliche Entwicklung und die Anfiinge organisierter politischer Erziehung tiber die erst jiingst mit dem Terminus "politische Sozialisation" abgedeckten Sachverhalte ist schon immer, wenn auch mit unterschiedlicher Intensitiit, reflektiert worden. Politische Erziehung wurde vor allem in Zeit en politischen und gesellschaftlichen Wandels als Instrument zur Stabilisierung der betreffenden Staats- und Regierungsform in Anspruch genommen. So heiBt es z.B. bei Aristoteles, der sich mit Fragen politischer Erziehung in einem philosophisch-normativen GeII samtrahmen befaf.\t: "Daf.\ nun der Gesetzgeber vor aHem fiir die Erziehung der Jugend sorgen muf.\, diirfte wohl niemand bezweifeln. Denn, wenn dies in den Staaten nicht geschieht, schadet es den Verfassungen, da die Staaten in gleichem Einklang mit ihrer jeweiligen Verfassung verwaltet werden mUssen.',8 Die Ausbildung einer institutionalisierten politischen Bildung ist jedoch nur in dem Zusammenhang von Prozessen zu verstehen, die von der Soziologie als sozialer Wandel, politische Mobilisierung und Ausdifferenzierung von Politik und politischem System gekennzeichnet werden. So gab es in der standisch organisierten GeseHschaft des Mittelalters noch keine Institutionen fUr politische Bildung. Weiljeder einen festen und rechtlich eindeutigen Platz innerhalb der Standehierarchie einnahm, geniigte es, wenn jeder die Normen fiir seinen Stand lernte. Seit der Aufkllirung und der von ihr ausgehenden Demokratisierungsprozessen wurde die politische Sozialisation zu einem Grundund Existenzproblem des politischen Systems. Ging es friiher darum, die zur Herrschaft Berufenen einerseits und die Untertanen andererseits zur optimalen Ausfilllung ihrer verschiedenen politischen Rollen zu beflihigen, so machte nun die prinzipielle Gleichberechtigung aller Biirger und die nur noch funktionale Trennung von Hetrschenden und Beherrschten eine allgemeine politische Erziehung notwendig. So ist es nicht verwunderlich, daf.\ die Diskussion liber Probleme der politischen Erziehung in der franzosischen Revolution einen erst en Hohepunkt erreichte. Das neue politische System sah, daf.\ eine Partizipation aller Biirger nur bei entsprechender Vorbildung moglich ist. In derem Verlauf wurde ein breites Spektrum von politischen Erziehungsprogrammen entwickelt. In Rousseaus affirmativem Bildungsplan und Condorcets Entwuif kritischer politischer Bildung, die wir hier beispielhaft auffiihren, kristallisieren sich alternative Konzeptionen dieser Zeit. Wahrend Rousseau im Emile von einem individualistischen Ansatz ausging, zielte er in seinen politischen Schriften mehr auf eine patriotisch-moralische Gemeinschaftserziehung. Er sieht in der politischen Erziehung eine der wesentlichsten Aufgaben des Staates. Nach ihm ist "die Voraussetzung echter Freiheit innerhalb der politischen Gemeinschaft, die Versittlichung des Menschen". Da jedoch die Tugend nicht bei allen Mitgliedern der politischen Gemeinschaft vorausgesetzt werden kann, versucht er, die menschlichen Leidenschaften, vor allem den Ehrgeiz, in den Dienst der Sache der Republik und des Vaterlandes zu stellen. Der Dienst am Vaterland soli der einzige Weg sein, urn zu Ehre und Ansehen zu gelangen. Wichtiger als die Wissensvermittlung sind daher fiir Rousseau Volksfeste, Sportveranstaltungen und Tanzvergniigungen, die zur Bildung des 12 Gemeinschaftsgeistes beitragen sollen. Die Integration des Biirgers in das bestehende Herrschaftssystem war nach Rousseau, dessen Ideen wahrend der franzosischen Revolution ganz verschieden gedeutet wurden, die Hauptfunktion einer emotional bestimmten politischen Erziehung. Condorcet stellt in seinem Erziehungsplan bewuf.\t die Frage, wie politische Bildung wirksam werden kann, ohne daf.\ sie zu einer Theorie der Anpassung wird. Ausgehend von einem streng rationalistischen Bildungsbegriff lehnt er jedes nicht von der Vernunft gefilterte politische Engagement abo Urn die Indoktrination herrschender politischer Meinungen zu vermeiden, fordert er die institutionelle Unabhangigkeit der politischen Unterweisung. Der politische Unterricht, der von wissenschaftlich gesicherten Fakten auszugehen hat, soli die biirgerlichen Freiheiten im Bewuf.\tsein des einzelnen etablieren. Das Gedankengut der franzosischen Revolution bildet den Hintergrund fiir die padagogischen BemUhungen der revolutionaren Bewegungen, wie auch der restaurativen Monarchien oder Honoratiorendemokratien des 19. J ahrhunderts. Die national-liberale Bewegung in Deutschland wollte aus den Untertanen des absolutistischen Staates einen mUndigen "Staatsbiirger" machen. Freiherr v. Stein versprach sich von der gemeindlichen Selbstverwaltung eine politische Erziehung des Volkes und Arndt und Jahn wollten im Sinne eines nationalen Volksgeistes erziehen. Diese Entwtirfe gipfelten in Fichtes Konzeption einer nationalen Erziehungsrepublik. Allerdings wurde die Realisierung dieser Denkansatze durch den Sieg der Restauration verhindert. "Die unpolitische Humboldtsche Form - als Gegengewicht gegen falsche Politisierung durch den wiederaufkommenden Obrigkeitsstaat - behauptet das Feld.,,9 Die von Humboldt geforderte rigorose Abtrennung des Bildungsprozesses vom Staat fUhrte nicht zur politischen Neutralitlit, weder im Gymnasium, noch in der Volksschule, sondern hatte eminent politische Folgen. "Die Entpolitisierung der Schule sollte selbst einem politischen Zweck dienen. Die christliche Volkssitte wurde zu einer Art Naturkategorie hypostasiert, urn damit den Ideen der europliischen Revolution und den durch Arbeiterbewegung profilierten Interessengegensatzen der Gesellschaft, den Eingang in die Schule und in das Bewu~tsein der BUrger zu verwehren.,,10 Die Parteinahme der Schule erreichte einen Hohepunkt in dem Erlaf.\ von Kaiser Wilhelm II. vom Jahre 1889, in dem er "die Schulen in ihren einzelnen Abstufungen nutzbar machen" wollte, "urn der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzutreten" Y Auch in den USA stellte sich die Aufgabe einer politischen Erziehung nach dem Unabhangigkeitskrieg in verstarktem Maf.\e. Die Ein13 fUhrung des Geographie- und Geschichtsunterrichts sollte der nationalen Integration dienen. Einen weiteren Impuls bildete die not wendige politische Sozialisation und Assimilation der Einwanderer, die auch zu einem Aufschwung der Sozial- und Politikwissenschaften fUhrten. 1m Mutterland England gab es dagegen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine besondere politische Erziehung. Die englische Gesellschaft mit ihrer kontinuierlichen Entwicklung und ihrer jahrhundertealten Verfassungstradition iibte politische Verhaltensmuster kollektiv ein. Lediglich in Sozialistenkreisen setzte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Auffassung durch, daJl. politische und wirtschaftliche Studien notwendig seien, urn die politisch unmiindigen Kreise der Arbeiter zu emanzipieren. Zusammenfassend liiJl.t sich feststellen: "Ein Bedarf an politischer Bildung besteht oder entsteht dort, wo sich das politische System grundlegend verandert oder wo eine solche Veranderung von politischen Instanzen und/oder gesellschaftlichen Gruppen angestrebt wird, oder wo solche Instanzen oder Gruppen ein Interesse daran haben, die Veranderungen aufzuhalten.,,12 2.2. Modernisierung politischer Systeme und die Institutionalisierung politischer Bildung Die Ausbildung der modernen Gesellschaft, die durch Industrialisierung, Urbanisierung und den Ausbau der Kommunikations- und Verkehrssysteme gekennzeichnet ist, fiihrte zum groJl.eren Eingreifen des Staates in soziale Bereiche und machte eine verstiirkte politische Orientierung der Biirger notwendig, wahrend traditionelle, lokale und okonomische Bindungen immer mehr zerbrachen. Diese Prozesse fiihrten urn die Jahrhundertwende zur endgiiltigen Institutionalisierung einer spezifisch politischen Bildung. In fast allen Staaten, die diesen Wandlungen unterworfen waren, wurde Politik als Schulfach eingefUhrt (z.B. Social Studies in den USA und Staatsbiirgerkunde in Deutschland). Die Jugend, die zumindest partiell von der Familie unabhangig wurde, griindete eigene Organisationen, die auch die politischen Verhaltensweisen und Einstellungen ihrer Mitglieder beeinfluJl.ten. Die Gewerkschaften als organisierte Vorhut der arbeitenden Masse bemiihten sich urn eine verstiirkte Erwachsenenbildung. In den USA stimulierten J. Deweys Forderungen nach einer demokratischen Schulstruktur die politischen Bildungsbemiihungen. Demokratie ist nach ihm "mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens,der gemeinsamen und mitein14 ander geteilten Erfahrung". Durch Formen partnerschaftlicher Kooperation versuchte er, in der Schule soziale und politische Erfahrungen zu vermitteln. Trotz dieser Anregungen, auf deren z.T. fragwiirdige sozialwissenschaftliche Pramissen hier nicht eingegangen wird, blieben die neu etablierten Social Studies bei einer mehr additiven Kumulation von nationalhistorischen, geographischen und weltpolitischen Aspekten stehen. In der "improvisierten Demokratie" der Weimarer Republik versuchte das politische System, die politische Desorientierung der meisten BUrger durch verstiirkte padagogische Bemiihungen aufzufangen. Art. 158 der Weimarer Verfassung wurde StaatsbUrgerkunde als Lehrfach fUr aIle Schulen proklamiert. Das neue politische System wollte an die Stelle des ergebenen Untertanen einen verfassungskonformen StaatsbUrger setzen. Politische Bildung sollte durch Institutionenkunde eine zugleich emotionale Bindung an den Staat erreichen, in dem Sinne, da~ nur, wer die Gesetze und die Verfassung genau kennt, ein positives Verhaltnis zum Staat und zu Demokratie hat. Anstatt zu kritischer Loyalitat zu erziehen, wie es Condorcet gefordert hatte, strebte man eine Identifikation mit der herrschenden Verfassung an, ohne sie mit der Verfassungswirklichkeit zu konfrontieren. In der politischen Padagogik der damaligen Zeit stand das Integrationsproblem im Vordergrund. Durch eine idealistische Staatsauffassung versuchten Kerschensteiner und vor allem Eduard Spranger die gesellschaftlichen Interessengegensatze und die politischen Spannungen auszugleichen. Diese Staatsgesinnung glaubte Kerschensteiner durch die Einiibung von partnerschaftlichen Verhaltensweisen in Schulen, die den Staat in seinen Strukturen abbilden sollten, zu erreichen. Er kniipfte dabei, wie spater Oetinger, an Gedanken Deweys an. Das Scheitern der Staatsbiirger-Padagogik, auf dessen Ursachen hier nicht eingegangen werden kann, zeigt die Grenzen politischer Bildung. Die StaatsbUrgerkunde war als "das demokratische Lehrfach, mit dessen Durchsetzung die Demokratie steht und falIt", hoffnungslos iiberfordert; "sie konnte nicht kompensieren, was in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit versaumt wurde bzw. in ihr sich an ganz anderen Tendenzen abzeichnete".13 1m Nationalsozialismus wurde der ganze padagogische Bereich einer Erziehungsideologie untergeordnet, die von einem bedingungslosen Nationalismus, Rassismus und Biologismus bestimmt war. Auch in der Sowjetunion wurde nach der November-Revolution 1917 Erziehungsfragen gro~e Aufmerksamkeit geschenkt, wie die rege Reformdiskussion zeigt. Unter dem Druck der politischen Wirklichkeit setzte Lenin an die Stelle reformpadagogischer Programme die realen 15 erziehungs- und schulpolitischen Erfordernisse der jungen Sowjetunion, bei denen er mehr oder weniger auf die Marxsche Bildungskonzeption zilriickgriff. Um die neuen SowjetbUrger aus den traditionellen Bindungen zu lasen, wurden neben der Schule au~erfamiliiire Sozialisationsinstanzen, wie Vorschule, Jugend- und Erwachsenenbildung besonders gefOrdert, wofUr neben ideologischen auch wirtschaftliche Griinde ma~gebend waren. Die allgemeine Erziehung, die nicht von der politischen zu trennen war, sollte die Mobilisierung und Politisierung der BUrger vorbereiten. Es wUrde zu weit fiihren, die marxistische Bildungskonzeption im einzelnen zu entwickeln. In den Programmen wurde u.a. der ideologische Charakter der Bildung, der politische Charakter der erzieherischen Tiitigkeit, die Verbindung von Bildung mit der Praxis und das Postulat der allseitigen Entwicklung des Menschen betont. Ais Erziehungsmodell gewann die Kollektiverziehung Makarenkos besondere Bedeutung. Das Kollektiv als eine konkrete und zugleich ideelle Lebens-, Erziehungs- und Arbeitsgemeinschaft sollte die Grundeinheit im piidagogischen Proze~ bilden und letztlich zur "sozialen Notwendigkeit, bei der die individuellen und gesellschaftlichen Interessen zusammenfallen", fiihren. Die Modernisierung verschiedener politi scher Systeme zu Beginn des 20. Jahrhunderts machte also eine gesonderte politische Bildung notwendig. "J e mehr die BUrger von politischen Entscheidungen betroffen und in ihrer Existenz von politischen Entscheidungen abhiingig werden, je mehr politische Prozesse, auch von den BUrgern, neue Kenntnisse, Veriinderungen von Einstellungen und Verhaltensweisen fordern und je mehr die Stabilitiit der politischen Strukturen von der Legitimation der politischen Ordnung durch die BUrger abhiingig wird, desto wahrscheinlicher wird die Institutionalisierung politischer Bildung, die Vermittlung spezifischer politischer Kenntnisse und normativer Orientierungen im aIlgemeinen Bildungssystem.,,14 3. Soziokulturelle und psychische Bedingungen politischen Verhaltens Die historische piidagogische Forschung gibt zwar einige Hinweise auf strukturelle Bedingungen politischer Erziehung, sie kann jedoch keinen Aufschlu~ liber die Entstehung politisch relevanter Einstellungen, Motivationen und Dispositionen der einzelnen BUrger geben. Die empirische Analyse der sogenannten latenten und manifest en soziopsychischen Beeinflussungsfaktoren politischen Verhaltens bildet daher eine wichtige Grundlagenforschung fUr die intentionale politische Bildung. 16 Dabei sind wir zum Teil auf die Rezeption der amerikanischen Sozialisationsforschung angewiesen, deren Ergebnisse nicht ohne weiteres veraHgemeinert werden konnen. 1m Rahmen dieser Einfiihrung konnenjedoch nur einige, das politische Verhalten bestimmende, Einstellungs-, Personlichkeits- und soziodemograpbische Variablen herausgegriffen werden, die uns fUr die organisierte politische Bildung bedeutsam erscheinen. 3.1. Praformierung politischer Einstellungen im Kindes- und Jugendalter Nyssen reflektiert in seinem Beitrag amerikanische Forschungsergebnisse liber den Proze1.\ der "initation to politics" d.h. politische Lernprozesse, die die Kinder im Vorschulalter und wahrend der ersten Schuljahre durchlaufen. Die auch von anderen referierten Untersuchungen zu diesem Problem werden in der BRD deswegen so stark diskutiert, da Politik lange Zeit als nicht kindgema1.\ galt. Diesen Vorstellungen liegt ein PhasenmodeH der alteren Entwicklungspsychologie zugrunde, nach denen das historische und politische Verstehen des Jugendlichen mehrere Stufen durchlauft, vom marchenhaften Verstandnis der Geschichte des Grundschiilers, bis die J ugendlichen schlie1.\lich in der Pubertat eindeutig einen Bezug zum Politischen bekommen. Die amerikanischen Untersuchungen weisen auf die Stabilital der in der Kindheit erworbenen politischen Einstellungen hin. Greenstein spricht von der "Persistenz des friihen Lernens,,15 , d.h., obwohl die affektive Bindung zum politischen System durch schulische Lernprozesse kognitiv differenziert wird, bleiben grundlegende politische Einstellungen erhalt en. Die wenigen in der Bundesrepublik gemachten Untersuchungen weisen in eine ahnliche Richtung. Die Kinder kennen in der Regel den Bundeskanzler und haben schon konstante EinsteHungen zu den Parteien. Hans Oswald hat bei Gymnasiasten eine starke "ElternfOrtnigkeit" politischer Einstellungen und Verhaltensweisen nachgewiesen. 16 In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, da1.\ die altersbezogene Dimension in der politischen Sozialisation nicht mehr die Bedeutung hat, wie die psychologische Jugendforschung ihr bisher zugeschrieben hat. Behrmann fa1.\t die internationalen Forschungsergebnisse zu diesem Problem folgenderma1.\en zusammen: "Unter den Variablen, mit denen die Art der politischen Orientierung der Jugendlichen, der Grad des politischen Interesses und der Umfang des politischen Engagements korrelieren - Alter, Bildung, Geschlecht, Schichtung, Wohnort und organisatorische Bindung, vor aHem an Kirchen 17 und Gewerkschaften, haben die Altersunterschiede und die StadtLandzugehorigkeit ... mehr und mehr an Gewicht eingebiiiSt.,,17 Allerdings diirfte die politische Lernreichweite eines Menschen mit zunehmendem Alter enger werden, wenn sie nicht durch geeignete piidagogische MaBnahmen offen gehalten wird. Was die tiereits in den Kindheit grundgelegten Loyalitiitsbindungen an das politische System anbeiangt, so fragt es sich, ob die in den USA festgestellten Ergebnisse ohne weiteres auf die Bundesrepublik iibertragen werden konnen. Die vergleichende Studie von pye/Verba l8 hat gezeigt, daB sich die Deutschen im Gegensatz zu den US-Biirgern mit den wirtschaftlichen Segnungen ihres Systems mehr identifizieren als mit dessen Verfassung und politischen Institution. Uber den EinfluiS der auiSerschulischen Faktoren auf das politische BewuiStsein der Kinder und Jugendlichen in sozialistischen Staaten liegen kaum Untersuchungen vor. Doch diirfte die FamiIie, die in den USA so systemstabilisierend wirkt, dort eher einen Storfaktor bilden. Fragt man nach den didaktischen Konsequenzen der angedeuteten empirischen Befunde, so werden zwei Standpunkte sichtbar. Nyssen befiirchtet, "daiS die im vorkognitiven politischen SozialisationsprozeiS erworbenen tief verwurzelten Loyalitiitsbedingungen gegeniiber den Grundlagen des bestehenden politischen Systems zugunsten einer kritischen Distanz nicht mehr aufgebrochen werden konnen" .19 Behrmann dagegen, der mehr von der Perspektive der Stabilitiit des politischen Systems ausgeht, weist darauf hin, daiS bisher in der politischen Bildung der Bundesrepublik dem Problem einer "auch affektiv grundierten politischen Kultur,,2o zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 3.2. Schichtspezifische Determinanten politischer Sozialisation und das Problem der politischen Apathie Ulf Preuil.-Lausitz 21 hat neuerdings Nyssen und anderen eine unkritische Rezeption der amerikanischen Forschung vorgeworfen. Dabei seien Untersuchungen iiber Lernprozesse bei Minderheiten und politischen Randgruppen, die zu ganz anderen Ergebnissen gekommen seien, iibersehen worden. Auch Jaide macht in seinem Beitrag auf unterschiedliche Lernprozesse bei Jugendlichen aufmerksam und kommt zu dem SchluiS: "Die Sozialisationsunterschiede sind offenkundig wichtiger als die Generationsunterschiede." Empirische Untersuchungen in verschiedenen Liindern deuten darauf hin, daiS mit abnehmendem soziookonomischem Status autoritiires Verhalten, politische Apathie, Intoleranz in politischem und sozialem Nonkonfor18 mismus und ethnischer Verschiedenheit zunehmen. Die gtinstigeren Sozialisationsbedingungen in Mittelschichtfamilien vermitteln u.a. eine entwickeltere Sprachkompetenz, mehr psychische und soziale Sicherheit, ein hoheres Mail. an politischem Interesse, Eigenschaften, die fUr das politische Verhalten von gro&r Bedeutung sind. So ist es nicht verwunderlich, dail. Kinder aus der Unterschicht die politischen Einfluil.moglichkeiten relativ gering einschiitzen. Dieses Gefiihl der politischen Ohnmacht kann in der Regel durch die Schule nicht beseitigt werden und verstiirkt sich durch die Arbeitsplatzbedingungen. "Apathie, Resignation, Indifferenz sind die gebriiuchlichsten Vokabeln zur Beschreibung des Verhiiltnisses, das Arbeiter zum politischen Bereich haben; Perspektivlosigkeit, Fragmentierung, Simplifizierung, Personalisierung gelten als wissentliche Merkmale ihres Bewuil.tseins. ,,22 Wie die angedeuteten Sozialisationsdefizite durch die organisierte politische Erziehung kompensiert werden konnen, ist weithin noch ungekIm. Politisches Verhalten ist nicht zuletzt auch durch bestimmte Zeiteinstellungen von Individuen und Groil.gruppen bestimmt, wie Wiesbrock und v. Lilienfeld-Toal in ihrem Beitrag nachweisen. Dieser in der politischen Piidagogik bisher zu wenig beachtete Ansatz scheint vor allem fUr den interkulturellen Vergleich von Nutzen zu sein. So zeigt die Wiener Studie tiber "Images of the world in the year of 2000", dail. die auil.ereuropiiischen und osteuropiiischen Volker optirnistisch und zukunftsorientiert sind, wiihrend die europiiische BevOlkerung "entwicklungsmtide" erscheint.2 3 3.3. Zur Wirkung der Schule innerhalb der Sozialisationsinstanzen Die politische Sozialisationsforschung hat gezeigt, dail. politische Lernprozesse auch au&rhalb der Schule z.B. in der Familie, in peer groups und durch Massenmedien stattfinden. Damit stellt sich die Frage nach dem SteHenwert bzw. den Chancen politischen Lernens in der Schule. In der BRD hat man vor aHem zu Beginn der 60er Jahre versucht, die "Wirkung des politischen Unterrichts" in der Schule zu erfassen. Die J ugendlichen zeigten u.a. unzureichendes politisches Wissen, mangelndes Urteiisvermogen, geringes politisches Interesse. Sie tendieren dazu, politische Vorgiinge zu personalisieren, in Naturkategorien oder Schwarz-Weif.\-Schemata zu denken. Die bekannte Frankfurter Untersuchung, deren Ergebnisse durch neuere Arbeiten weitgehend bestiitigt werden, kommt zu folgendem Schluil.: "Die Analyse liiil.t keinen Zweifel daran, dail. insgesamt gesehen der Ertrag der bisherigen Bemiihungen gering war. Vergleicht man die 19 Ergebnisse unserer Schiilerbefragungen mit denen von Umfragen in der ganzen Bevolkerung, so wird deutlich, da~ die Schule nur wenig dazu beigetragen hat, Sachkenntnisse zu vermehren und am allgemeinen politischen Interesse etwas zu iindern."24 Die amerikanischen Studien zur Wirksamkeit der Social Studies kommen zu ahnlichen Ergebnissen. Auch in der DDR-Literatur wird beklagt, dd im StaatsbUrgerkundeunterricht "neben Fortschritten ... allerdings auch noch Mangel und Schwachen" bestehen, vor allem die ideologische Bewu~tseins bildung rein verbal und ohne praktische Auswirkung ist. Gute theoretische Kenntnisse drUcken sich nicht immer in einer ausreichenden gesellschaftlichen Aktivitat aus. "25 Welchen Stellenwert die schulische politische Bildung innerhalb der verschiedenen Sozialisationsagenturen hat, ist noch nicht hinreichend geklart. Bis in die 70er Jahre war man unter dem Einflu~ der psychoanalytischen Forschung der Ansicht, da~ die manifeste politische Sozialisation in der Schule die bereits vorhandenen politischen Einstellungen und Verhaltensweisen der lugendlichen nur verstarken aber kaum verandern. Neuerdings wird der Schule, vor allem bei Kindern aus der Unterschicht, gro&rer Einflu~ zugeschrieben. Au~erdem mU~te die Bedeutung des sozialen Lernens in der Schule starker in die didaktische Reflexion mit einbezogen werden. Insgesamt fehlt fUr den politischen Unterricht - vor allem der BRD - noch weitgehend eine Evaluationsforschung, die curricularen Anspriichen geniigen wUrde. Ebenso dringlich sind differenzierte empirische Untersuchungen, die den relativen Einflu~ der verschiedenen Sozialisationsagenten und deren Interaktionen erhellen. 4. Anthropologische und politische Priimissen der Didaktik Wahrend in den USA mehr die Bedingungen und die Mechanismen politischer Sozialisation untersucht wurden, iiberwogen in der BRD normative Fragestellungen. Es ging in erster Linie urn die Frage, welche Vorstellungen von Gesel1schaft, Demokratie und Politik der politischen Bildung zugrunde gelegt werden sollen. In den USA hatte man sich lange Zeit darauf beschrankt, "herrschende Verhaltensweisen" zu operationalisieren. 26 4.1. Politische Partizipation und Emanzipation als Zielbegri!!e 1m Mittelpunkt der Diskussion der Nachkriegszeit stand das Problem der politischen Beteiligung. Oetinger begriff Demokratie nicht als 20 "Staatsmodell sondern als Lebenszusammenhang der im Staat vereinten Menschen", als Lebensform, in der "das Politische und das Menschliche sich finden und wechselseitig durchdringen,,?7 Die Kritik an diesem Konzept richtete sich in erster Linie gegen die unzuliissige Vermischung der sozialen und politischen Ebenen. Mitte der 50er Jahre schaltete sich die normative Richtung der Politikwissenschaft, die sich in der Nachkriegszeit neu konstituiert hat, in die Diskussion ein. Bergstriisser, der Begriinder dieser Schule, verteidigt die bestehende politische Ordnung, denn sie habe sich "in der Geschichte der Menschheit als die optimale erwiesen, die urn seiner Daseinsbestimmung zur Mlindigkeit willen ausgebildet werden", und fordert ein Engagement, das sich "in der Wertschiitzung der politisch-gesellschaftlichen Institutionen der Freiheit ausdrlickt". 28 In diesem normativen Bezugsrahmen ist Wilhelm Hennis Beitrag liber das "Modell des BUrgers" zu sehen. Er warnt allerdings vor der stiindigen piidagogischen Forderung nach politischer Aktivitiit des BUrgers, die verfassungsmiissig nicht zu realisieren seL "Die Aufgabe des Lehrers in der Schule ist nicht unmittelbar die Erziehung zur rechten Aktion, sondern zur rechten Reaktion". Dazu ist es notwendig, daB die BUrger "die Tugend und das Laster im Politischen unterscheiden konnen". Hennis Demokratiebegriff ist mit den Vorstellungen der amerikanischen Soziologie yom "Political Man" zu vergleichen, wo im Sinne der Stabilitiit des politis chen Systems vor allzu groBer politischer Partizipation gewarnt wird. Diese angloamerikanische "BUrgerkultur" geht von einem relativ formalen Demokratiebegriff als "Set von SpieIregeln" aus, liber deren Einhaltung der BUrger zu wachen habe. In seinen Reflexionen liber den Begriff der politischen Beteiligung wendet sich Habermas gegen die Auffassung von der politischen Teilnahme als einem Wert "an sich", die beim behavioristischen Ansatz der amerikanischen Forschung fast unvermeidlich ist. Er fragt vielmehr nach der Funktion der intendierten politischen Partizipation im geschichtlichen ProzeB und versucht dieses Ziel mit Begriffen wie Selbstbestimmung und Emanzipation inhaltlich niiher zu bestimmen. Nach Giesecke bedeutet dieser Ansatz eine Kehrtwendung fUr die politische Bildung: "Wurde der StaatsbUrger vorher fast ausschlieBlich als Objekt der Demokratie betrachtet (er mlisse "verantwortIich" sein, damit Demokratie funktionieren konne), so wurde er jetzt ausdrlicklich zum Subjekt erkliirt.,,29 Allerdings hat die bisherige Diskussion gezeigt, daB der neue Zielbegriff der Emanzipation inhaltlich gefilllt werden muB, wenn er nicht zur Leerformel und damit zum VerschIeierungsinstrument verschiedener Ideologien werden solI. Giesecke bemerkt jedoch mit Recht, daB Habermas und andere Vertreter der kri21 tischen Theorie die plidagogisch-theoretische Bearbeitung ihrer Einsichten offen geIassen habe. Diese Lucke versuchten seit Ende der sechziger Jahre von der studentischen Protestbewegung angeregte Autoren, wie z.B. Gottschalch und Schmiederer, zu schlie1'en. 4.2. SoziJlle Differenzierung und Vielfalt der Rollenerwartungen ala neue Problematellung Nach Behrmann ist die neuere politische Plidagogik von Oetinger bis zur Frankfurter Schule nachhaltig von der Idee einer gemeinschaftlichen Vergesellschaftung, die von der Ganzheitlichkeit und Direktheit der Sozialbeziehungen ausgeht, beeinflu1't. Sie werde damit dem vieldimensionalen fortschreitenden Differenzierungsproze1' der Industriegesellschaft, die Subsysteme zugleich verselbstlindigt und voneinander abhlingig macht, nicht gerecht. "Jedes Mitglied hochdifferenzierter Gesellschaften kann ... in den meisten gesellschaftlichen Lebensbereichen nicht mehr und nicht weniger als ein aktiver Konsument sein. Darauf beruhen die Struktur und die Leistungen dieser Gesellschaft. Darauf beruhen auch die mannigfachen Moglichkeiten einer individuell bestimmbaren Lebensfiihrung und darauf beruhen schlie1'lich die Moglichkeiten initiativen und innovativen politischen und gesellschaft lichen Handelns". 30 Die politische Didaktik wird sich daher starker mit der Demokratisierung der Subsysteme und deren spezifischen Bedingungen und Erfordernissen fiir eine Partizipation beschliftigen miissen. Fiir diesen Zusammenhang ist die aus verschiedenen empirischen Untersuchungen gewonnene These von der kumulativen Partizipation von Interesse, d.h. soziale Aktivitlit prlidisponiert auch zur politischen Aktivitlit.31 Insgesamt gesehen mu1' die politische Didaktik bei dieser GrundIagendiskussion "hindurchsteuern zwischen der Scylla einer Ontologisierung der Grenzen moglicher Partizipation und des politischen Bereichs im Sinne der altliberalen Staat-Gesellschaft-Trennung und der Charybdis einer unreflektierten Partizipationsromantik, die Modelle von Kleingruppen und Familie auf die Gesellschaft ubertrligt".32 Mit seinem Konzept einer "historisch-dynamisierten Rollenerweiterung" will Giesecke unreflektierte Partizipationsromantik und damit die Gefahr einer manipulierten Pseudobeteiligung vermeiden. "Demnach ware die im Namen der Emanzipation anzustrebende Erweiterung der Mitbestimmung durch eine Transzendierung der jeweils vorliegenden Rollenvorschriften anzustreben - aber nur in einem solchen Ma1'e, da1' das Individuum nicht "rollen-Ios" wird und nur in einer solchen 22 inhaltlichen Richtung, die einen Zuwachs an Mitbestimmung auch wirklich erbringen kann.,,33 4.3. Sozialistisches Menschenbild als Erziehungsziel In den sozialistischen Llindern findet eine lihnliche Diskussion kaum statt, da die Ziele des organisierten politischen Lernens fast ausschlieBlich von der politischen Fiihrung formuliert werden. So nennt in der DDR das Gesetz tiber ein einheitliches sozialistisches Bildungssystem yom 25.2.1965 als Ziel einer modernen sozialistischen Allgemeinbildung die im Kollektiv und durch das Kollektiv erzogene "allseitig und harmonisch entwickelte" Personlichkeit, die tiber feste anwendungsbereite und erweiterungsflihige Kenntnisse, Flihigkeiten und Fertigkeiten verfiigt, das Vaterland liebt und bereit ist, den sozialistischen Staat zu stlirken und die stolzen Errungenschaften des Sozialismus zu verteidigen. Hauptaufgabe der plidagogischen Forschung ist die Explikation dieser politischen Prlimissen. Dabei ist ihr bewuBt, "daB sozialistisches Menschenbild und sozialistisches Erziehungsziel nicht miteinander identisch sind,,34 , wenn auch die konkreteren und flexibleren sozialistischen Erziehungsziele theoretisch auf dem langfristig gtiltigen sozialistischen Menschenbild beruhen mtissen. Aufgabe der Gesellschaftswissenschaften ist es, diese Kluft zwischen Theorie und Praxis zu tiberbrticken und die nicht ideologisch bedingten Verlinderungen, wie z.B. die wissenschaftlich-technische Revolution, in die Zielsetzungen der jeweils konkreten Bildung und Erziehung aufnehmen zu konnen. 5. Cu"iculumprobleme in der Schule Obwohl die politische Sozialisationsforschung gezeigt hat, daB die Wirkung der schulischen politischen Erziehung z.T. tiberschlitzt wird, sehen alle politischen Systeme darin den entscheidenden Sozialisationsfaktor. Die dabei sich ergebenden didaktischen Probleme hat man neuerdings mit dem Begriff des Curriculums zu umschreiben versucht. Dabei geht es "darum, Lehrzielgefiige. und Lernverfahren, Unterrichtsstrategien und Organisationsformen, Lehrgegenstlinde, Materialien, Differenzierungen, Evaluierungsprozesse und Kontrollmechanismen gerade im unaufloslichen Zusammenhang ihrer Wechselwirkungen durchsichtig und kontrollierbar zu machen". 3S 1m Rahmen dieser Einfiihrung kann jedoch nicht auf die verschiedenen unter23 richtlichen Variablen eingegangen werden, es sollen nur allgemeine Entwicklungslinien aufgezeigt werden. 5.1. Didaktische Ansiitze der politischen Bildung in der BRD Als Schulfach wurde Politische Bildung in der Nachkriegszeit auf Anregung der Alliierten eingefiihrt. So hei~t es in der Anweisung Nr. 54: "Es sollen aUe Schulen gro~tes Gewicht auf die Erziehung zur staatsbiirgerlichen Verantwortung und demokratische Lebensweise legen und Lehrpliine, SchulbUcher, Lehr- und Lernmittel und die Organisation der Schule selbst auf diesen Zweck ausrichten." Die verschiedenen Bezeichnungen des neuen Faches "Gemeinschaftskunde", "Sozialkunde", "Biirgerkunde" und "politische Weltkunde" deuten auf unterschiedliche Konzeptionen hin. Wallraven und Dietrich unterscheiden folgende fUnf phasenbildende didaktische Entwiirfe: 36 Es sind die 1. Erziehung zur Gemeinschaft und Partnerschaft (seit 1945/49); 2. zu fundamentalen Erkenntnissen und Einsichten (ab 1953); 3. zur politischen Aktivitiit und Beteiligung '(ab 1956); 4. zum kritischen Denken und zur Kritikfiihigkeit (ab 1962); 5. zum Konfliktbewu~tsein und Konfliktverhalten (ab 1965). Daneben spielten in den sechziger Jahren, wo das Ende der Nachkriegszeit zu einer gewissen innen- und au~enpolitischen Unsicherheit in der BRD gefUhrt hatte, nationale Perspektiven eine Rolle. Auf der anderen Seite brachte die studentische Protestbewegung den demokratischsozialistischen Ansatz in die Diskussion, der u.a. von Rolf Schmiederer vertreten wird. Insgesamt gesehen standen die didaktischen Entwiirfe im Vordergrund des Interesses, wiihrend die unterrichtliche Konkretisierung und Materialisierung vernachliissigt wurden. Das zeigt sich besonders an den herkommlichen Bildungspliinen. Sie bestehen in der Regel aus Stoffkatalogen ohne didaktische BegrUndungen, denen unverbindliche pauschale Ziele vorangestellt sind. Der Lehrer bekommt keine Informationen Uber die Interdependenz von Lehrzielen, Lehrinhalten, Verfahren, Methoden und Medien fiir eine konkrete Lernsituation. 24 5.2. Cu"iculumentwicklung in den USA In dem Fach Social Studies, das 1916 eingefUhrt wurde, dominierten zuniichst historische und geographische Lerninhalte. Zu Beginn der sechziger Jahre setzte die Revision der Social Studies Curricula ein. Entscheidend fUr diese Entwicklung waren die gesellschaftlichen Veriinderungen und die Ausweitung und zunehmende Bedeutung der Sozialwissenschaften. Da die Reformbemtihungen der BRD sehr stark durch Anregungen aus den USA bestimmt wurden, gibt Christoph Wulf anhand der New Social Studies einen Uberblick tiber die Probleme sozialwissenschaftlicher Curriculumentwicklung. Er unterscheidet kontrovers bezogene Curricula, deren Ansatz sich m.E. mit dem Konfliktmodell Gieseckes u.a. vergleichen lii~t. Die disziplinorientierten Curricula gehen dagegen von der Struktur einer sozialwissenschaftlichen Disziplin aus. Dabei wird Struktur als ein "Weg" definiert, "das vorhandene Wissen eines Gebietes zu organisieren, urn es (das Wissen) weiter voranzutreiben". 37 Dabei geht es nicht primiir urn die reine Vermittlung von Sachwissen, der Schiller sollte sich vielmehr sozialwissenschaftliche Denkoperationen aneignen, urn bestimmte Probleme selbstiindig losen zu konnen, wie Hilda Taba in ihrem Beitrag aufzeigt. Bei dem skizzierten Erkenntnisinteresse der politischen Didaktik in der BRD ist es nicht verwunderlich, daB sich bei der Rezeption der amerikanischen Projekte die Aufmerksamkeit vor allem darauf richtete, von welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen und Zielen sie ausgehen. Diese durchaus notwendige Kritik der Priimissen amerikanischer Curricula tibersieht jedoch meistens folgenden Vorteil: Sie stellen Themen, Medien und Methoden und Evaluationsmoglichkeiten so bereit, daB sie im Unterricht eingesetzt werden konnen. Holtmann faBt den Stand der Curriculumentwicklung in den USA und der BRD folgendermaBen zusammen: "Den New Social Studies in den USA fehlt eine kritische politische Theorie und ein (politischer) Streit urn den Positivismus; dem politischen Unterricht in der BRD feWt eine empirisch orientierte Unterrichtsforschung im Kontext der Curriculumentwicklung und die Innovationsbereitschaft und -fiihigkeit der "New Social Studies", damit politisch didaktische Theoriebildung nicht esoterisch erstarrt und eine un- bzw. antiemanzipatorische Unterrichtspraxis kaschiert. ,,38 25 5.3. Staatsbilrgerkunde in der DDR Bei der Curriculumsdiskussion in der BRD wurde das neue Lehrplanwerk in der DDR relativ wenig beriicksichtigt. Nach Hilbert Meyer haben wir es hier mit einem System normativer Didaktik zu tun, in welchem Lernzielen von nicht hinterfragbaren Normen - hier sozialistisches Menschenbild - abgeleitet und somit dogmatisiert werden. 39 Allerdings sind "die recht komplizierten Beziehungen zwischen Stoff und Ziel des Unterrichts ... in der Lehrplantheorie der DDR nur zu einem Teil geklart".40 Der Hauptakzent der dortigen Reformbemiihungen liegt in der Bereitstellung geeigneter Materialien und effektiver Methoden fUr den Unterricht. Der traditionelle Facherkanon wurde durch das neue Lehrplanwerk nicht in Frage gestellt. Das Unterrichtsfach "StaatsbUrgerkunde" besteht unter diesem Namen erst seit Beginn des Schuljahres 1957/58 und loste die bis dahin bestehende "Gegenwartskunde", die starker an politischen Tagesfragen orientiert war, abo Durch die Curriculumrevision wurde die schulische politische Bildung starker systemati·siert. In der Hierarchie der Zieie, die nach Wissen, Konnen und Erziehungszielen klassifiziert sind, steht "die Auspragung und wissenschaftliche Fundierung des Klassenstandpunktes der Arbeiterklasse bei den Schiilern" an der Spitze. Dabei hat die StaatsbUrgerkunde die Aufgabe, die in den anderen Fachern gewonnenen Kenntnisse und Fahigkeiten zu integrieren und zu systematisieren. Der Stoff ist nicht linear angeordnet, sondern mehr im Sinne eines Spiralcurriculums; da "die Auspragung und Festigung parteilicher Standpunkte sozialistischer Dberzeugungen und Charaktereigenschaften ein langwieriger und komplizierter Prozell." sei. In den Stundentafeln ist StaatsbUrgerkunde mit einer (Klasse 7-9 und 11) oder 2 Stunden (Klasse 10 und 12 als Abschlull.klassen) pro Woche vertreten. Dabei ist zu beriicksichtigen, daB die ideologische Erziehung in den sozialistischen Staaten als Unterrichtsprinzip fUr aIle Hcher gilt. 5.4. Curriculumrevision in der BRD Der zeitliche Vorsprung, den die DDR mit ihrer Reform der schulischen politischen Erziehung gegeniiber der BRD hat, ist u.a. dadurch zu erklaren, daB sich dort das Problem der curricularen Normgebung weniger stellt, da die Ziele starker durch Partei und Staat vorbestimmt sind. In der BRD konzentrierte sich die Diskussion sehr stark auf den Herstellungsprozell. der Curricula und hier besonders auf die Entschei26 dung iiber die Lernziele. Neben dem Konzept einer langfristig angelegten Curriculumreform spielte dabei das von Herwig Blankertz und seiner Gruppe mehr fachorientierte didaktische Strukturgitter eine Rolle. Sie verlegen das Normgebungsproblem nicht wie Robinsohn und seine Schule in die Expertengruppen, in die Instanzen "und machen es darnit abhlingig von der personellen Abhiingigkeit curricularer Arbeitsgruppen, sondern nehmen es in das Verfahren auf, indem es innerhalb des Arbeitsprozesses methodisiert wird, wodurch das Sinnverstiindnis reflektiert werden kann".41 Bei der intensiven Lernzieldiskussion wurde die Reform der Unterrichtsmaterialien und Medien etwas vernachliissigt. Die konkrete Curriculumentwicklung auf den einzelnen Schulstufen steckt noch in den Anfiingen. Nachdem die politische Sozialisationsforschung gezeigt hat, daJ.lJ politisches Lernen auf der Primarstufe nicht nur moglich, sondern auch notwendig ist, versucht man in mehreren Bundesliindern innerhalb des Sachunterrichts einen politisch-gesellschaftlichen Bereich zu konstruieren. Er solI die in der Praxis z.T. noch vorherrschende Heimatkunde ablosen, die in ihrem Gesellschaftskonzept von einem vorindustriellen Erfahrungshorizont ausgeht und mit ihrer Gemeinschaftsideologie eine konfliktlose Welt den Kindern vorgaukelt. Wolfgang Hilligen vergleicht in seinem Beitrag neue Richtlinien fiir den Politikul1terricht der Sekundarstufe I, die vom curricularen Ansatz ausgehen. Wiih'"end in Hessen die friiheren Fiicher Soziaikunde, Geschichte und Erdkunde in einen neuen Lernbereich Gesellschaftslehre koordiniert sind, haben die "NRW-Rahmenrichtlinien", die vom fachorientierten Ansatz Blankertz ausgehen, die Frage der organisatorischen Zuordnung bzw. Integration der genannten Fiicher ausgeklammert. Dieses Problem stellt sich auch auf der Sekundarstufe II, fiir die noch keine offiziellen Richtlinien vorliegen, die curricularen Anspriichen geniigen wiirden. Vernachliissigt wurde bisher vor allem die politische Dimension der beruflichen Bildung. Insgesamt ist eine stiirkere sozialwissenschaftliche Orientierung der schulischen politischen Bildung in der BRD notwendig, d.h. die Sozialwissenschaften miissen danach befragt werden, ob und in welcher Weise ihre Methoden und Ergebnisse soziales und politisches Lernen in der Schule ermoglichen. Angesichts der zukiinftigen gesellschaftlichen Anforderungen sollte die Curriculum revision nicht nur zu einer Reform der Lerninhalte und -organisation, sondern auch zu einer Deputatserweiterung des sozialwissenschaftlichen Bereichs der Schule fiihreno Der Erfolg dieser Bemiihungen hiingt nicht zuletzt von einer Studienreform, die die fachwissenschaftliche und piidagogische Ausbildung der Lehrer stiirker integrieren solI, abo 27 6. Politische Bildung im auflerschulischen Bereich Wahrend dem schulischen politischen Lernen in allen politischen Systemen groi.)e Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist fUr die sozialistischen Lander eine "tendenzielle Padagogisierung aller Lebensbereiche"42 kennzeichnend. Daher steht dort die aui.)erschulische politische Sozialisation starker unter staatlicher Kontrolle, wie Hans-Georg Wehling in seinem Beitrag darstellt. Da in demokratisch-pluralistischen Gesellschaften fUr diesen Bereich das Prinzip der Freiwilligkeit gilt, werden hier zahlenmai.)ig relativ wenig Personen erfai.)t. Es wUrde zu weit fiihren, die Entwicklung und den internationalen Stand der politischen J ugend- und Erwachsenenbildung zu skizzieren. Wir wollen wenigstens exemplarisch auf einige wichtige didaktische Ansatze in der BRD hinweisen. 6.1. Konzepte der Jugendarbeit "Die in letzter Zeit zunehmend ins BewuBtsein gerUckte Einsicht, dai.) Jugendarbeit politisch sei - das meint wohl, dai.) ihre Pramissen und Strategien immer bewui.)te oder nicht bewui.)te politische Entscheidungen sind, wie auch, dai.) dem Jugendlichen zu politisch-gesellschaftlicher Reflexionsflihigkeit verholfen werden mUsse, diese Grundeinsicht hat sich als sehr fruchtbar erwiesen und neue Perspektiven aufgedeckt.,,43 In einem erst en Versuch hatten 1964 Klaus Mollenhauer, Hermann Giesecke, Helmut Kentler eine "progressive" Konzeption entwickelt, die dem Jugendlichen Lernhilfen fUr die erfolgreiche Bearbeitung der gesellschaftlich vermittelten Konflikte anbieten wollte. In seinem Buch aus dem Jahre 1971 spricht Giesecke bewui.)t von "emanzipatorischer Jugendarbeit" mit der Absicht, "polit-okonomische Kategorien kommunikativer und interaktiver Praxis, mit KategOl;ien, auf die sich die progressive Jugendarbeit stUtzt", zu verkniipfen. 44 Als Alternative zu diesen beiden Ansatzen, die durch gesellschaftliche Lernprozesse die Selbstbestimmung des einzelnen Jugendlichen optimieren wollen, wurde in jUngster Zeit die sog. antikapitalistische Jugendarbeit entwickelt. Sie geht von der Analyse der "Klassenlage" aus, die es durch Kollektive fundamental zu verandern giit. 4S Vertreter dieser Richtung sehen im antikapitalistischen Kollektiv weniger den "freiwilligen Zusammenschlui.) infolge der Spontaneitat einzelner ... , die sich bestimmte Ziele set zen" , sondern den "politisch gesteuerten Reflex einer identischen Lage revolutionarer Subjekte (etwa 28 der Arbeiter oder Lehrlinge) bzw. der Einsicht (etwa der Schiller und Studenten) in die UnterdrUckungsma~nahmen der ausbeuterischen Praktiker kapitalistischer Unternehmen".46 6.2. Das Verhiiltnis zwischen beru/licher und politischer Bildung In der Nachkriegszeit dominierte die Aufgabe einer existenziellenphilosophischen Lebenshilfe und einer partnerschaft-mitbUrgerlichen politischen Bildung. Die "realistische Wende" (Tietgens) in der westdeutschen Erwachsenenbildung Anfang der sechziger Jahre fUhrte zum Abbau kulturkritischer und zivilisationspessimistischer Einstellungen gegenUber der technisierten Massengesellschaft. Unter den Schlagwortern technokratische oder emanzipatorische Bildung wird z.Zt. die Funktion sozialen und politischen Lernens in der Erwachsenenbildung diskutiert. Nach Willy Strzelewicz mui.\ ein berufsbezogener Lernkursus "als verstUmmelt angesehen werden, der Uberhaupt keine Einsichten in die Herrschafts- und Machtstruktur, die sozialen Konfliktanlasse und die RechtsansprUche im Arbeitsdasein nahelegte, auch wenn der Kursus in einer nicht autoritaren Struktur aufgebaut sein sollte".47 In diesem Bezugsrahmen ist auch der Beitrag von Klaus Horn tiber Gruppendynamik und politische Bildung zu sehen, der auch fUr das schulische Lernen von Bedeutung sein dUrfte. In diesem Zusammenhang mu~ auch auf den Versuch einer Neukonzeption der Arbeiterbildung durch Oskar Negt hingewiesen werden. Er kritisiert, "da~ die durch das Anwachsen der Schicht der Angestellten mitbedingten durch das offizielle Schulsystem immer aufs neue reproduzierten kleinbUrgerlichen und mittelstandischen Ideologien, in denen sich ein autoritares Bewu~tseinspotential entfaltet, ohne wirksame Gegenkrafte in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit eindringen konnten".48 Ansatzpunkte fUr eine emanzipatorische Arbeiterbildung bilden - als Symptome fUr die gesellschaftlichen WidersprUche - die Konflikte, die den Arbeitern subjektiv erfahrbar werden. Durch exemplarisches Vorgehen will Negt dem einzelnen "die Fahigkeit verschaffen, wissenschaftliche Arbeitsteilung produktiv rUckgangig zu Machen und damit handlungsmotivierende Strukturen in die chaotische FUlle der Informationen und des Lehrstoffes zu bringen".49 29 7. Politisches Lemen und politisches System Die politische Sozialisationsforschung bildet die Umschlagstelle von mikro- zu makropolitischen Analysen. Die Wechselbeziehungen von politischen Lernprozessen und politischem System sind noch relativ wenig erforscht, so da~ hier nur auf einige Fragestellungen hingewiesen werden kann. Die Reflexion dieses Zusammenhangs diirfte nicht zuletzt die Grenzen der organisierten politischen Erziehung nliher bestimmen und vor unangebrachtem plidagogischen Optimismus bewahren. 7.1. Ansiitze zu einer Typologie politischer Sozialisation Mit dem Konzept der politischen Kultur, die man verallgemeinernd als die Gesamtheit der jeweiligen Orientierungsmuster gegeniiber der Politik in einem gegebenen politischen System bezeichnen kann, wurde in der Politikwissenschaft versucht, die Mikro- und Makropolitik zu verbinden. Demnach hat die politische Sozialisation im Rahmen des politischen Systems die Aufgabe, die politische Kultur herzustellen, zu tradieren und zu wandeln. NachAlmond scheint somit deren Untersuchung "eine der am meisten versprechenden Art zu sein, urn das Phlinomen der politischen Stabilitlit und Entwicklung zu verstehen". 50 Es wiirde zu weit flihren, in diesem Zusammenhang auf die Problematik des Political culture-Ansatzes einzugehen, urn dessen Rezeption und Kritik sich in der Bundesrepublik vor aHem Narr/Naschold und v. Beyme verdient gemacht haben. In Anlehnung an dieses Konzept versucht Behrmann die Interdependenz zwischen dem Modernisierungsproze~ und der Rollendefinition des Biirgers in den verschiedenen politischen Systemen und die sich daraus ergebenden politischen Erziehungsstrategien typologisch zu erfassen. 51 In den meisten kontinentaleuropliischen Llindern in den erst en zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts, dem heutigen Spanien und Portugal, sowie Entwicklungsllindern wie z.B. Persien und Athiopien versuchten bzw. versuchen traditionale Eliten dem Modernisierungsdruck soweit entgegenzuwirken, da~ ihre Macht nicht geflihrdet wird. Die Erziehung der Untertanen in diesen politischen Systemen zielt auf Dankbarkeit, Gehorsam und Pflichterfiillung. Ein besonderer politischer Unterricht ist fiir eine solche traditionale Orientierung nicht notwendig. Eine rasch vorangetriebene Modernisierung von oben erfordert dagegen zentrale Planung und KontroHe der gesellschaftlichen Entwick30 lung und die Totalisierung der politischen Rolle des BUrgers. Der entsprechenden politischen Erziehung geht es vor allem darum, dem Individualismus und partikularen Bindungen entgegenzuwirken, kollektive Solidaritiit zu wecken und der Modernisierung angemessene Tugenden wie Flei1l, und Sauberkeit zu fOrdern. Zu ihren wichtigsten Mitteln gehoren: "die frillie Einbeziehung der Kinder und der Jugendlichen in politische Verbiinde, die Symbolisierung von Solidaritiit in Massenaufmiirschen und Ritualen, die Legendenbildung, besonders im Blick auf die revolutioniire Aufbruchsphase, die Reduktion des Systembezugs auf einen charismatischen FUhrer und die iiber ihn gegebenen Identifikationsmoglichkeiten".S2 Als Beispiel lassen sich m.E. die Sowjetunion, Bulgarien, China, Kuba und die meisten Entwicklungsliinder nennen. Auch das faschistische Italien, das Dritte Reich in Deutschland oder die sozialistischen Lander DDR, Polen und CSSR werden trotz ihres relativ hohen Modernisierungsgrades zu diesem Typ gerechnet. In den modernen Gesellschaftssystemen West- und Nordeuropas und der angelsiichsischen Liinder, die sich durch autonomere Rollenstrukturen bzw. Subsysteme auszeichnen, wiire dagegen eine Zentrierung auf die politische Rolle dysfunktional. Nach Behrmann besteht daher in den parlamentarischen Demokratien das Problem der Balance zwischen den Partizipationschancen der BUrger und den Entscheidungschancen politischer Instanzen. Er warnt daher vor iibersteigerten Partizipationsforderungen der politischen Bildung, die den Systembedingungen der west lichen Demokratien nicht entspriichen. Dahinter steckt das Konzept der Civic Culture, daB "der BUrger in bestimmten Phasen des politischen Prozesses aktiv, in anderen passiv ist; daB er nach EinfluB sucht aber auch loyal gegeniiber den einmal gewiihlten politischen Instanzen und ihren Entscheidungen ist". S3 Fortentwickelte Ansiitze der Systemtheorie wie Etzionis "Active Society" oder Nascholds "Organisation und Demokratie" weisen jedoch darauf hin, daB ein hoheres MaB an Partizipation nicht unbedingt der Effektivitiit und Stabilitiit von demokratischen Systemen widersprechen. Insgesamt unterstreicht der skizzierte Versuch einer Typologie die Notwendigkeit einer vergleichenden politischen Sozialisationsforschung. Dabei miiBte es u.a. zu einer differenzierteren Betrachtungsweise der Erziehungsprozesse in totalitiiren Systemen kommen, wie es H. G. Wehling in seinem Beitrag iiber die DDR versucht. Die Gegeniiberstellung totalitiire und demokratische Erziehung hat sich als sehr fragwUrdig erwiesen und wurde meistens mit unzureichenden methodischen Instrumentarien durchgefiihrt. Nicht zuletzt dUrfte die Untersuchung der politischen Sozialisationsprozesse in Entwicklungsliindern von groBem heuristischem Wert sein. 31 7.2. Stabilitiit oder Wandel: Zur Funktion politischer Sozialisation Wie schon angedeutet, steht bei den meisten empirischen Untersuchungen in den USA die stabilitatsfOrdernde Wirkung politischer Sozialisation im Vordergrund des Erkenntnisinteresses. In stabilen politischen Systemen ist der Sozialisationsprozef.\ gewahnlich homogen und konsistent. Ais Beispiele werden in diesem Zusammenhang vor allem Grof.\britannien und die Schweiz genannt. Bei der in diesen Landern bestehenden homogenen und stabilen politischen Kultur besteht kaum ein Bedarf an organisierter politischer Erziehung. Allerdings wird in der Diskussion iiber den Stellenwert politischer Sozialisation zu wenig beriicksichtigt, daf.\ sie nicht den einzigen Mechanismus darstellt, mit dem systemkonformes Verhalten erzeugt wird. So haben Almond und Verba in ihren Untersuchungen festgestellt, daf.\ sich die BUrger der BRD vielmehr mit den wirtschaftlichen Segnungen des politischen Systems identifizieren als mit dessen Verfassung und Institutionen. Auch in der Weimarer Republik liegt nicht in erster Linie ein Versagen "der Funktion politischer Sozialisation vor, vielmehr ist die Sozialisationsleistung eine Relation zwischen den von der Elitekultur gesetzten Zielleistungen und den von den Systemmitgliedern perzipierten outputs". 54 Bei der Rezeption der empirischen Forschung aus den USA wurde zurecht kritisiert, daf.\ bisher abweichenden politischen Lernprozessen und damit dem Problem des sozialen Wandels zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Neuere systemtheoretische Ansatze, auf deren Entwicklung hier im einzelnen nicht eingegangen werdenkann, suchen jedoch systemverandernde Wirkungen politischer Sozialisation in ihren Modellen zu beriicksichtigen. Georg Heinrich geht in seinem Beitrag auf das Modell von Easton/Dennis ein. Politische Sozialisation ist darin ein Lernvorgang, der die Mitglieder eines Systems in Stand setzt, auf das Verhalten der Entscheidungsinstanzen zu antworten. Politische Sozialisation hat die Aufgabe, "Stref.\" auf die fUr den Fortbestand des Systems essentielle Variable "Befolgung von Anordnungen" zu mindern und wird auf diese Weise auch auf gesellschaftliche Veranderungen und magliche negative Antworten der Gesellschaft auf das politische System so zu reagieren haben, daf.\ die Unterstiitzung erhalten bleibt. "Easton und Dennis, die auf diese Art und Weise auch eine dysfunktionale Wirkung der Sozialisation als Quelle von Stref.\ fUr das politische System annehmen, integrieren damit in ihr Modell eine innovative Funktion der Sozialisation: Informationen iiber politische Lernprozesse der Gesellschaft, welche die diffuse Unterstiitzungsbereitschaft in Frage stellen, kannen sowohl Entscheidungsrevisionen 32 als auch gar strukturelle Verlinderungen im politischen System auslosen. "55 Wlihrend die systemtheoretischen Anslitze Probleme des politischen Lernens zum grof.)en Teil aus der Perspektive des politischen Systems sehen, geht es den Vertretern der kritischen Theorie in ihren Gesellschaftsanalysen urn die Frage nach der Moglichkeit und der Wirksamkeit einer auf Emanzipation und Demokratisierung gerichteten politischen Sozialisation. Ihre Chancen werden relativ gering eingeschlitzt: "Politische Bildung ist ihrer gesellschaftlichen Funktion nach primlir eine Veranstaltung zur Absicherung der in der jeweiligen Gesellschaft bestehenden Herrschaftsstrukturen, Besitzverhliltnisse, Privilegien, Autoritlitsverhliltnisse usw. Kein gesellschaftliches System und d.h. die in ihm herrschenden Gruppen und Klassen kann seine eigene Uberwindung intendieren.,, 56 Vertreter dieser Richtung betonen jedoch, daf.) es nicht moglich sei, die Sozialisationsprozesse volikommen in den Dienst der Anpassung an den Status quo zu stellen. Die Chancen einer emanzipatorischen politischen Bildung lligen darin, die sich durch die mogliche subversive Rolle der Bildung ergebenden Konflikte und Antagonismen aufzunehmen. Auch dynamische Variant en der Systemtheorie weisen darauf hin, "daf.) das Gesamtsystem nicht so bruchlos strukturiert und nicht so liickenlos integriert ist, als daf.) nicht ein Spieiraum zu relativ selbstlindiger Anderung eines Teilsystems zu einer Demokratisierung der jeweiligen Organisation offen bliebe". 57 Politische Sozialisation miif.)te demnach die politischen Systeme auf Freirliume testen, die innovative politische Sozialisationsprozesse erlauben. Giesecke glaubt an eine Tendenz zur Autonomisierung fiir die Sphlire der Erziehung und wirft den Vert ret ern der kritischen Theorie plidagogischen Deflitismus vor, da fiir sie Lernen zu sehr gesamtgesellschaftlich determiniert sei. Neben den gesellschaftlichen Verhliltnissen hebt er auf das Kontinuum der jeweiligen Lebensgeschichte ab, in der sich Emanzipation vollziehan kann. Insgesamt gesehen bleiben die Aussagen iiber die Chancen der Selbstbestimmung innerhalb des politischen Lernprozesses relativ vage:' Fiir die politische Plidagogik jedoch ist die moglichst genaue Bestimmung dieses gesellschaftlich zugelassenen Spieiraums - und der Kampf urn seine stlindige Erweiterung - von entscheidender Bedeutung; denn nur, wenn sie diesen SpieIraum richtig erkennt und in der richtigen - nlimlich auf subjektiven Zuwachs an Emanzipation gerichteten - Richtung ausniitzt, kann sie ihren bescheidenen Beitrag zur fortschreitenden Emanzipation der Menschen leisten. 59 33 Anmerkungen Bei den folgenden Anmerkungen beschranken wir uns weitgehend auf Zitate. 1m iibrigen sei auf die Bibliographie am Schl~ des Bandes verwiesen. 1 F.J. Greenstein, Political Sozialization. In: International Enzyklopadia of social science. New York 1967, S. 1. 2 Einen ersten Versuch in dieser Richtung macht Georg Heinrich mit seinem Beitrag Politische Sozialisation, politische Kultur und Systemtheorie in diesem Band S. 268 ff. 3 W. Gottschalch, Bedingungen und Chancen politischer Sozialisation. Frankfurt 1972, S. 23. 4 Giinther C. Behrmann, Soziales System und politische Sozialisation, Stuttgart 1972, S. 11 f. 5 H. Mitscherlich, Auf dem Wege zur vaterlosen Gesellschaft. Miinchen 1965, S. 350 f. 6 R. Mohl, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. Neudruck Graz 1960, Bd. 1, S. 7. Vgl. dazu auch K. v. Beyme, Politische Ideengeschichte. Tiibingen 1969, S. 50 ff. 7 H. Giesecke, Einftihrung in die Padagogik, Miinchen 1969, S. 41 f. 8 Aristoteles, Politik. Ubers. von E. Rolfes, Leipzig 1948, S. 288. 9 A. Flitner, Politische Erziehung in Deutschland. Geschichte und Probleme 1750-1880, Tiibingen 1957, S. 96. 10 K. Mollenhauer, Erziehung und Emanzipation, Miinchen 1968, S. 158 f. 11 Aus dem Erla~ Wilhelms II. an das preu~ische Staatsministerium vom 1. Mai 1889, abgedr. in den Verhandlungen iiber Fragen des hoheren Unterrichts, Berlin 1890, S. 3 f. 12 G.C. Behrmann, a.a.O., S. 159. 13 K. Hornung, Politik und Zeitgeschichte in der Schule, Villingen 1966, S. 50. 14 G.c. Behrmann, a_a.O., S. 28. 15 F.J. Greenstein, Children and politics. New Haven 1969, S. 80. 16 H. Oswald/I. Volker, Gymnasiasten - religiose Partizipation und politische Orientierung unter dem Einfl~ der Eltern. In: H.G. Wehling (Hrsg.), Jugend zwischen Auflehnung und Anpassung, Stuttgart 1973, S. 116-147. 17 G.C. Behrmann, Politische Einstellungen und Verhaltensweisen Jugendlicher. In: H.G. Wehling, a.a.0., S. 75. 18 Pye/Verba, Political culture and political development, Princeton, New Yersey 1965. 19 Vgl. Beitrag von F. Nyssen in diesem Band. 20 G.c. Behrmann, Politische Sozialisation in den USA und politische Bildung in der BRD. In: Gesellschaft, Staat, Erziehung, 1969, H. 3, S. 195. 21 U. Pre~-Lausitz, Yom Schwinden der "Fahigkeit", sich mit dem politischen System zu identifizieren. In: betrifft: erziehung, 6. Jg. (1973), H. 2, S. 19-24. 22 S. Herkommer, Gesellschaftsbild und politisches Bewu~tsein. In: Das Argument, Nr. 50, 1969, S. 216. 23 J. Galtung, Images of the world in the year 2000, Wien 1970. 24 E. Becker/S. Herkommer/J. Bergmann, Erziehung zur Anpassung, Schwalbach 1962, S. 173. 25 Neuer Weg 1973, H. 1, S. 7. 34 26 K. Chr. Lingelbach, In: FunkkolIeg Erziehungswissenschaft, Bd. 2, Frankfurt 1970, S. 107. 27 F. Oetinger, Partnerschaft ~ Die Aufgabe der politischen Erziehung, Stuttgart 1953, S. 85. 28 A. Bergstrasser, Die Macht als Mythos und Wirklichkeit, Freiburg 1965, S. 18. 29 H. Giesecke, Didaktik der politischen Bildung, 7. Aufl., Miinchen 1972, S.43. 30 G.C. Behrmann, Soziales System und politische Sozialisation, S. 143 f. 31 Vgl. E. Zimpel, Der beschaftigte Mensch, Miinchen 1970. 32 K. v. Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart, Miinchen 1972, S.226. 33 H. Giesecke, a.a.O., S. 202 f. 34 J. SchmolIack, Sozialistisches Menschenbild und sozialistische Erziehung. In: Padagogik, 1968, Nr. 10, S. 824. 35 K. Giel/G. Hiller, Verfahren zur Konstruktion von Unterrichtsmodellen als Teilaspekt einer konkreten Curriculumreform. In: Zeitschrift fiir Padagogik, 1970, S. 739. 36 K. WalIraven/E. Dietrich, Politische padagogik. Aus dem Vokabular der Anpassung, Miinchen 1970, S. 105. 37 J.B. Lange-Quassowski, Curriculumreform und New Social Studies in den USA. In: Aus politik und zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung das Parlament, B. 21/72 (20.5.1972), S. 33. 38 H. Holtmann, Sozialwissenschaftliches Curriculum, Opladen 1972, S. 48. 39 H.L. Meyer, Einftihrung in die Curriculummethodologie, Miinclien 1972, S. 41 ff. 40 H. Vogt, Theorie und Praxis der Lehrplanrevision in der DDR, Miinchen 1972, S. 41. 41 W. Gagel, Sicherung vor Anpassungsdidaktik. Curriculare Alternativen des politischen Unterrichts: Robinsohn und B1ankertz. In: P. Ackermann (Hrsg.), Curriculumrcvision im sozialwissenschaftlichen Bereich der Schule, Stuttgart 1973, S. 140. 42 O. Anweilcr, Jugendpolitik und Jugenderziehung in kommunistischen Gescllschaften. In: Bildung und Erziehung, 19 (1966), S. 89. 43 D. Baacke, Klassenlage und primarer Status. Die Alternative: Antikapitalistischc und progressive Jugendarbeit. In: Deutsche Jugend, 19 (1971), S. 121. 44 P. Pott, Progressive, emanzipatorische und antikapitalistische J ugendarbeit. In: Deutsche Jugend, 12 (1971), S. 555~570. 45 M. Liebel, Uberlcgungen zum Praxisverstandnis antikapitalistischer Jugendarbeit. In: Deutsche J ugend, 1971, H. I, S. 13 f. 46 D. Baacke, In: Deutsche J ugcnd, 1971, H. 3, S. 122. 47 W. Strzelewicz, Technokratische und emanzipatorische Erwachsenenbildung. In: Zeitschrift fUr Padagogik, 1970, S. 607. 48 O. Negt, Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen, 6. Aufl., Frankfurt 1971, S. 20. 49 O. Negt, a.a.O., S. 27. 50 G.A. Almond u. G.B. PowelI Jr., Comparative Politics, Boston und Toronto 1966, S. 65. 51 Vgl. G.c. Behrmann, Soziales System und politische Sozialisation, Stuttgart 1972, S. 144 ff. 52 G.c. Behrmann, a.a.O., S. 147. 35 53 G.c. Behrmann, a.a.D., S. 149 f. 54 G. Heimich, In: Osterreichische Zeitschrift ftir Politikwissenschaft, 1 (1972), H. 2, S. 31. 55 U. Pawelka-Hosch, Politische Sozialisation und internationale Politik im Grundschulalter. Zulassungsarbeit zur 2. Dienstpriifung ftir das Lehramt an Grund- und Hauptschulen 1974, S. 5 f. 56 R. Schmiederer, Zur Kritik der politischen Bildung, Frankfurt 1971, S. 24. 57 F. Naschold, Organisation und Demokratie, Stuttgart 1969, S. 83 f. 58 Vgl. H. Giesecke, Didaktische Probleme des Lernens im Rahmen von politischen Aktionen. In: H. Giesecke, Politische Aktionen und politisches Lernen, Miinchen 1970, S. 33 ff. 59 H. Giesecke, a.a.D., S. 39. 36 II. Historische Perspektiven politischer Piidagogik 37 1. Jean-Jaques Rousseau ", Politische Erziehung Aber all diese Vorsichtsma~nahmen werden sich als unzureichend erweisen, wenn man nicht noch weiter ausholt. Ich beschlie~e diesen Teil der offentlichen Okonomie mit dem, womit ich ihn hiitte beginnen sollen. Das Vaterland kann ohne die Freiheit nicht bestehen, die Freiheit nicht ohne die Tugend, und die Tugend nicht ohne die Biirger; ihr werdet alles bekommen, wenn ihr Biirger heranbildet; geschieht dies nicht, so werdet ihr nur gemeine Sklaven haben, bei den Staatsoberhiiuptern angefangen. Biirger heranzubilden ist jedoch nicht das Werk eines Tages, damit sie es im Mannesalter sind, mUssen sie als Kinder unterwiesen werden. Es mag mir darauf geantwortet werden, da!\ derjenige, der Menschen regieren mu~, nicht au~erhalb ihrer Natur eine Vollkommenheit suchen darf, deren die Menschen nicht fiihig sind; da~ er nicht die Absicht haben darf, im Menschen die Leidenschaften zu zerstoren, und da~ die AusfUhrung eines derartigen Vorhabens gleicherma~en unerwiinscht wie unmoglich ware. All dem stimme ich urn so bereitwilliger zu, als ein Mensch ohne Leidenschaften sicherlich ein sehr schlechter Biirger ware: aber man mu~ auch zugeben, da~, wenn zwar den Menschen keinesfalls beizubringen ist, nichts zu lieben, es doch nicht unmoglich ist, sie zu lehren einen Gegenstand eher zu lieben als einen anderen, und eher das zu lieben, was wirklich schOn ist, als das, was hii~lich ist. Wenn man beispielsweise die Menschen frUh genug darin Ubt, ihre eigene Personlichkeit ausschlie~lich in ihren Beziehungen zum Staatskorper zu sehen, und ihre eigene Existenz sozusagen als einen Teil davon zu begreifen, konnten sie schlie~lich daziJ gelangen, sich in gewisser Weise mit jenem gro~eren Ganzen zu identifizieren, sich als Mitglieder des Vaterlandes zu fiihlen und dieses mit jenem kostlichen Gefiihl zu lieben, dasjeder vereinzelte Mensch nur fiir sich selbst empfindet, ihre See len unabliissig zu dieser gro&n Sache emporzuheben und so die gefiihrliche Veranlagung, aus der all unsere Laster geboren werden, in eine erhabene Tugend zu verwandeln. Nicht nur die Philo sophie * 38 Jean-Jaques Rousseau, AussehniU aus dem Artikel ,Economie politique', der fliI die von Diderot und d' Alembert herausgegebene ,Encyclopc!die' geschrieben und dort 1755 im fUnften Band veroffentlicht wurde. zeigt die Moglichkeit dieser neuen Zielsetzung, sondern auch die Geschichte liefert dazu tausend schlagende Beispiele: wenn sie in unserer Gesellschaft so selten sind, dann deswegen, weil sich niemand darum bemiiht, da~ es BUrger gibt, und da~ man sich noch weniger darum sorgt, rechtzeitig ihre Ausbildung zu beginnen. Die Zeit, unsere natUrlichen Neigungen zu verandern, ist vorbei, wenn diese ihren Lauf genom men haben und wenn sich die Gewohnheit zur Eigenliebe gesellt hat; die Zeit, uns iiber uns selbst zu erheben, ist vorbei, wenn einmal das menschliche I ch in unseren Herzen jene verabscheuungswUrdige Tatigkeit entfaltet hat, die jede Tugend aufzehrt und das Leben der beschrankten Geister bestimmt. Wie sollte auch die Liebe zum Vaterland keimen konnen, inmitten so vieler anderer, sie erstickender Leidenschaften? Und was bleibt fUr die MitbUrger iibrig von einem Herzen, das bereits zwischen dem Geiz, einer Geliebten und der Eitelkeit aufgeteilt ist? Man mu~ yom ersten Augenblick des Lebens an lernen, wie man es verdient zu leben; und da man bereits mit der Geburt der BUrgerrechte teilhaftig wird, mu~ mit dem Augenblick der Geburt auch die Ausiibung unserer Pflichten beginnen. Und wenn es Gesetze fUr das reife Alter gibt, dann mu~ es auch Gesetze fUr die Kindheit geben, welche lehren, anderen zu gehorchen; und da man es nicht zula~t, da~ die Vernunft des Einzelmenschen zum einzigen Schiedsrichter iiber seine Pflichten wird, ist es urn so weniger statthaft, die Erziehung der Kinder allein den Einsichten und den Vorurteilen der Vater zu iiberlassen, da diese ja fUr den Staat von noch gro&rer Bedeutung ist als fUr die Vater; denn gema~ dem Lauf der Natur werden dem Vater oft die letzten Friichte dieser Erziehung durch den Tod geraubt, das Vaterland jedoch bekommt friiher oder spater die Wirkung davon zu spUren; der Staat bleibt, aber die Familie lost sich auf. Wenn die offentliche Autoritat den Platz der Vater einnimmt, diese wichtige Funktion auf sich nimmt und die Rechte der Vater erwirbt, indem sie ihre Pflichten erfiillt; dann haben diese urn so weniger Grund zur Klage, als sie eigentlich in dieser Hinsicht lediglich den Namen andern und von nun an gemeinsam unter dem Namen "BUrger" die gleiche Autoritat iiber ihre Kinder haben werden, die sie bisher getrennt voneinander, unter dem Namen "Vater" ausiibten, und man ihnen nun, da sie im Namen des Gesetzes sprechen, keineswegs weniger gehorchen wird als bisher, wo sie im Namen der Natur sprachen. Die offentliche Erziehung, gema~ von der Regierung vorgeschriebenen Regeln und unter der Aufsicht der yom Souveran eingesetzten Magistrate ist demnach eine der grundlegenden Maximen einer Volksoder legitimen Regierung. Wenn die Kinder gemeinsam im Scho~e der Gleichheit aufgezogen werden, wenn sie mit den Gesetzen des Staates 39 und den Maximen des allgemeinen Willens getriinkt werden, wenn sie gelebrt werden, diese vor allen anderen Dingen zu respektieren, wenn sie mit Beispielen und Dingen umgeben werden, die unaufhorlieh zu ihnen spreehen, von der zlirtliehen Mutter, die sie ernahrt, von der Liebe, die sie fUr sie hat, von den unsehatzbaren Giitern, die sie von ihr erhalten und von den Gegenleistungen, die sie ihr sehulden; dann konnen wir sieher sein, daf.\ sie lernen, sieh gegenseitig wie Briider zu lieben, immer nur das zu wollen, was die Gesellsehaft will, statt des leeren und fruehtlosen Gesehwatzes der Sophisten Taten von Mannern und BUrgern zu vollbringen und eines Tages die Verteidiger und Vater des Vaterlandes zu werden, dessen Kinder sie so lange gewesen waren. Ieh werde nieht iiber die Magistrate spreehen, deren Aufgabe es sein wird, iiber diese Erziehung zu waehen, die sieherlieh das wiehtigste Gesehiift des Staates ist. Man spUrt, daf.\, wenn derartige Beweise offentliehen Vertrauens leiehtfertig vergeben wUrden, wenn diese erhabene Aufgabe nieht fUr jene, die wUrdig aIle anderen Amter erfiillt haben, der Preis fUr ihre Anstrengung ware, die ehrenvolle und sanfte Erholung im Alter und der Hohepunkt aller Ehrungen, dann ware das ganze Unterfangen unniitz und die Erziehung erfolglos; denn iiberall dort, wo die Lehre nieht dureh die Autoritiit und die Regel nieht dureh das Beispiel unterstiitzt werden, bleibt die Unterweisung fruehtlos, und selbst die Tugend verliert ihre GlaubwUrdigkeit im Munde desjenigen, der sie nieht selbst praktiziert. Deshalb sollen beriihmte, unter der Last ihrer Lorbeeren gebeugte Krieger den Mut predigen; reehtsehaffene Magistrate, die im Purpur und auf dem Riehterstuhl ergraut sind, Gereehtigkeit lehren; die einen wie die anderen werden sieh so tugendhafte Naehfolger heranziehen, und sie werden von Generation zu Generation den Naehfolgenden iibermitteln: die Erfahrung und die Fiihigkeiten der FUhrer, den Mut und die Tugend der BUrger und den gemeinsehaftliehen Wettstreit aller, fUr das Vaterland zu sterben. Ieh kenne lediglieh drei Volker, die einstmals die offentliehe Erziehung praktiziert haben: namlieh die Kreter, die Lakedamonier und die alten Perser: bei allen dreien hatte sie grof.\ten Erfolg, und wirkte bei den beiden letztgenannten wahre Wunderdinge. Als es sieh ergeben hatte, daf.\ die Nationen auf dieser Welt zu grof.\ waren, urn gut regiert werden zu konnen, konnte dieses Mittel nieht mehr angewendet werden; und weitere Griinde, die der Leser sehr leieht selbst ersehen kann, haben wiederum verhindert, daf.\ diese offentliehe Erziehung bei irgendeinem modernen Yolk versueht wurde. Es ist sehr bemerkenswert, daf.\ die Romer darauf verziehten konnten; aber Rom war fiinfhundert 40 Jahre lang ein unaufhorliches Wunder, und die Welt kann nicht erwart en, da~ sich ein solches wiederholt. Die Tugend der Romer, die aus dem Abscheu vor der Tyrannei und den Verbrechen der Tyrannen sowie der angeborenen Liebe zum Vaterland gespeist wurde, machte aus allen ihren Hliusern ebensoviele Schulen von BUrgern; und die uneingeschrlinkte Macht der Vliter iiber ihre Kinder brachte soviel Strenge in die hliusliche Ordnung, da~ man den Vater mehr fUrchtete als den Magistrat, und er in seinem hliuslichen Tribunal zum Sittenrichter und zum Rlicher der Gesetze wurde. Eine aufmerksame und wohlmeinende Regierung, die unaufhorlich dariiber wacht, im Yolk die Liebe zum Vaterland und zu den guten Sitten aufrechtzuerhalten, oder in Erinnerung zu rufen, wirkt auf diese Weise bereits im Ansatz jenen Dbeln entgegen, die sich friiher oder spliter aus der Gleichgiiltigkeit der BUrger gegeniiber dem Wohlergehen der Republik ergeben; und eine solche Regierung hlilt so jenes egoistische Interesse in engen Grenzen, welches die privaten Einzelnen in der Weise isoliert, da~ wenn diese mlichtig werden, der Staat geschwlicht wird und von ihrem guten Willen nichts zu erhoffen hat. Dberall dort, wo das Yolk den Staat liebt, die Gesetze achtet und einfach lebt, braucht es nicht mehr viel, urn es glUcklich zu machen; und in der offentlichen Verwaltung, wo der Zufall eine geringere Rolle spielt als im Schicksal des Einzelmenschen. stehen Weisheit und GlUck so eng beieinander, da~ sie ineinander verschmelzen. (Ubersetzung: Richard Gramer) 41 2. Condorcet VorschHige zur Organisation des Offentlichen Unterrichtswesens * 1eden Sonntag wird der Lehrer eine offentIiche Konferenz einberufen, an der die BUrger aller Altersstufen teilnehmen konnen: in dieser Einrichtung haben wir ein Mittel, den jungen Menschen aIle notwendigen Kenntnisse zu geben, die kein Bestandteil ihrer ersten Erziehung sein konnten. Man wird dort ausfUhrlicher die Prinzipien und Regeln der Moral entwickeln sowie den Teil der nationalen Gesetze erortern konnen, deren Unkenntnis einen BUrger daran hindern wUrde, seine Rechte zu begreifen und sie auszuUben. So werden in diesen Schulen die Grundwahrheiten des menschlichen Zusammenlebens ihrer Anwendung vorangehen. Weder die franzosische Verfassung noch gar die Erkliirung der Mensehenreehte werden irgendeiner Klasse der BUrger wie yom Himmel herabgefallene TafeIn hingestellt werden, die man anbeten und an die man glauben mult Die Begeisterung der BUrger soIl nicht auf Vorurteilen, auf den Gewohnheiten der Kindheit gegrUndet sein. Man wird ihnen vielmehr sagen konnen: diese Erkliirung der Rechte, die euch zugleich lehrt, was ihr der Gesellschaft schuldet und was ihr von ihr zu fordern das Recht habt, diese Verfassung, die ihr unter Einsatz eures Lebens erhalten mU1\t, sie sind nur die Fortentwicklung jener einfachen von der Natur und der Vernunft diktierten Prinzipien, deren ewige Wahrheit zu erkennen ihr in euren frUheren lahren gelernt habt. Solange es Menschen gibt, die nicht allein ihrer Vernunft gehorchen und die ihre Ansichten von einer fremden Meinung ableiten, wiiren aIle Ketten vergeblich zerbrochen worden, vergeblich ersetzten diese befohlenen Meinungen die wirklichen Wahrheiten; das Menschengeschlecht bliebe nicht weniger in zwei Klassen geteilt: in die Klasse der Menschen, die vernUnftig denken, und die Klasse derer, die nur glauben, in die der Herren und die der Sklaven.... Das sind unsere Prinzipien gewesen; und nach dieser vernunftgemassen Philosophie, die frei ist von allen Ketten, befreit von jeder Autori- * 42 Ausschnitt aus Condorcet: Rapport et projet de deeret sur l'organisation generaie de l'instruction pubJique, der der Nationaiversammlung im Namen des Komitees fUr Offentliehen Unterricht am 20. und 21. April 1792 vorgeiegt wurde. tat und jeder alten Gewohnheit, haben wir die Gegenstande des Offentlichen Unterrichts ausgewahlt und eingeteilt. Nach eben dieser Philosophie haben wir die moralischen und politischen Wissenschaften als einen unerlaLmchen Bestandteil des allgemeinen Unterrichts angesehen. Wie konnte man in der Tat hoffen, jemals die Moral des Volkes zu heben, wenn man nicht der Moral der Menschen, die es aufklliren konnen und die dazu berufen sind, es zu fiihren, eine exakte und strenge Analyse der moralischen GefUhle sowie der daraus entstehenden Anschauungen und der aus ihnen folgenden Prinzipien der Gerechtigkeit als Grundlage geben wiirde? Gute Gesetze, sagte Platon, sind solche, die von den Biirgern mehr geliebt werden als das Leben. Wie sollten tatsachlich die Gesetze gut sein, wenn man zu ihrem Vollzug eine dem Willen des Volkes fremde Gewalt einsetzen und der Rechtsprechung den Beistand der Tyrannei leihen mU~te? Aber damit die Biirger die Gesetze lieben, ohne aufzuhOren, wahrhaft frei zu sein, und damit sie die Unabhangigkeit der Vernunft bewahren, ohne die die Begeisterung fiir die Freiheit nur eine Leidenschaft und keine Tugend ist, mUssen sie diese Prinzipien der natiirlichen Gerechtigkeit, diese w'esentlichen Rechte des Menschen kennen, von denen die Gesetze nur die Ableitung oder Anwendung sind. Man mu~ bei den Gesetzen zu unterscheiden wissen zwischen den Folgerungen aus diesen Rechten und den mehr oder weniger glUcklich gewahlten Mitteln, ihre Gewahrleistung zu sichern; die einen mu~ man lieben, weil die Gerechtigkeit sie diktiert hat, die anderen, weil sie wohl Uberlegt gegeben sind. Man mu~ zu unterscheiden wissen zwischen der Ergebenheit aus Vernunftgriinden, die man den Gesetzen schuldet, die die Vernunft billigt, und der Unterordnung, dieser au~er lichen UnterstUtzung, die der Biirger ihnen noch schuldet, selbst wenn seine Einsicht ihm deren Gefahrlichkeit oder Unvollkommenheit zeigt. Wahrend man die Gesetze liebt, mufl, man sie doch zu beurteilen wissen. Niemals wird sich ein Yolk einer bestlindigen und gesicherten Freiheit erfreuen, wenn nicht der Unterricht in den politischen Wissenschaften allgemein ist, wenn er nicht unabhlingig ist von allen gesellschaftlichen Institutionen, wenn nicht die Begeisterung, die ihr in der Seele der Biirger weckt, von der Vernunft geleitet wird, wenn sie fiir etwas entflammt, was nicht die Wahrheit ist, wenn ihr nicht dem Menschen, wahrend ihr ihn durch Gewohnung, Vorstellung und Gefiihl an seine Verfassung, seine Gesetze und seine Freiheit bindet, gleichzeitig durch einen allgemeinen Unterricht die Mittel gebt, mit deren Hilfe er zu einer vollkommeneren Verfassung gelangen, sich bessere Gesetze 43 geben und eine umfassendere Freiheit gewinnen kann. Denn es verhalt sich mit der Freiheit und der Gleichheit, mit diesen groBen Gegenstlinden politischer Besinnung, wie mit denen anderer Wissenschaften; es existiert fiir die Ordnung alier Dinge, die moglich sind, eine letzte Grenze, der wir uns nach dem Willen der Natur unaufhorlich nahern konnen, aber die jemals zu erreichen uns verwehrt ist. 44 3. V. I. Lenin Die Aufgaben der Jugendverbande * Genossen! Ich mochte mich heute mit euch darUber unterhalten, welches die Grundaufgaben des Kommunistischen Jugendverbandes sind, und im Zusammenhang damit auch darUber, wie Uberhaupt die Jugendorganisationen in einer sozialistischen Republik beschaffen sein mUssen. Mit dieser Frage mUssen wir uns urn so mehr beschiiftigen, als man in einem gewissen Sinne sagen darf, da~ es gerade die Aufgabe der Jugend sein wird, eine wirklich kommunistische Gesellschaftsordnung zu schaffen. Denn es ist klar, da~ die Generation der Arbeiter, die in der kapitalistischen Gesellschaft gro~ geworden ist, bestenfalls die Grundlagen der alten kapitalistischen, auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaftsordnung vernichten kann. Sie kann im best en Faile eine gesellschaftliche Ordnung schaffen, die dem Proletariat und den werktiitigen Klassen die Moglichkeit gibt, die Macht zu behaupten und ein festes Fundament zu sChaffen, auf dem nur eine Generation weiterbauen kann, die bereits unter neuen Bedingungen, neuen Verhiiltnissen an die Arbeit geht, wo kein Ausbeutungsverhaltnis mehr zwischen den Menschen besteht. Wenn wir nun von diesem Standpunkt aus die Frage stellen, vor welchen Aufgaben steht die Jugend? - so mUssen wir sagen, daf.\ diese Aufgaben der Jugend im allgemeinen und der Kommunistischen Jugendverbiinde und aller anderen Organisationen im besonderen sich durch ein einziges Wort kennzeichnen lassen, durch das Wort: lernen! Allerdings ist das eben nur ein "einziges Wort". Es gibt noch keine Antwort auf die wichtigste, wesentlichste Frage: wie und was soIl man lemen? Hier aber handelt es sich in der Hauptsache darum, da~ zugleich mit der Umgestaltung der alten kapitalistischen Gesellschaft die Unterweisung, Erziehung und Bildung der neuen Generationen, die die kommunistische Gesellschaft aufbauen werden, nicht nach den alten Methoden betrieben werden kann. Bei der Unterweisung, Erziehung und Bildung der Jugend mu~ man von dem Material ausgehen, das uns die alte Gesellschaft hinter lassen hat. Wir konnen den Kommunismus nur ausjener Summe von Wissen, Organisationen und Institu- * Ausschnitte aus der Rede auf dem 3. Allrussischen Kongre1\ des kommunistischen Jugendverbandes Ru1\lands. Am 2. Oktober 1920. 45 tionen, mit jenen Reserven an menschlichen Kraften und Mitteln aufbauen, die uns die alte Gesellschaft hinterlassen hat. Nur wenn wir den Unterricht, die Organisation und die Erziehung der Jugend von Grund auf umgestalten, werden wir es dahin bringen, da~ durch die BemUhungen der jungen Generation eine Gesellschaft entsteht, die von der alten verschieden ist, d.h. eine kommunistische Gesellschaft. Deshalb mUssen wir ausfiihrlich auf die Frage eingehen, was wir die Jugend lehren soIlen, was die Jugend lernen mu~, urn wirklich den Namen "Kommunistische Jugend" mit Recht zu tragen, und wie wir sie vorzubereiten haben, damit sie imstande sei, das zu vollenden, was wir begonnen haben. Die erste und natiirlichste Antwort darauf ist offenbar die, da~ der Jugendverband und die gesamte Jugend, die zum Kommunismus Ubergehen will, den Kommunismus lernen mu~. Aber diese Antwort: "Kommunismus lernen" ist zu allgemein. Was mUssen wir nun tun, urn den Kommunismus zu lernen? Was mUssen wir aus der Summe des allgemeinen Wissens herausgreifen, urn uns das Wissen des Kommunismus anzueignen? Hier droht uns eine ganze Reihe von Gefahren, die stets auftauchen, sobald die Aufgabe der Erlernung des Kommunismus falsch angepackt oder einseitig aufgefa~t wird. Natiirlich, auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob Erlernung des Kommunismus so viel bedeute wie Aneignung jener Summe von Kenntnissen, die in den kommunistischen LehrbUchern, Werken und Broschiiren enthalten ist. Aber eine derartige Definition des Studiums des Kommunismus ware allzu grob und mangelhaft. Wenn das Studium des Kommunismus nur in der Aneignung dessen bestUnde, was in den kommunistischen Werken, BUchern und Broschiiren enthalten ist, so konnten wir sehr leicht kommunistische BUcherwiirmer und Maulhelden bekommen. Das aber wiirde uns nur Schad en bringen, denn diese Leute, die das, was in den kommunistischen BUchern und Broschiiren enthalten ist, gelesen und sich angeeignet hatten, waren unfahig, aile diese Kenntnisse zusammenzufassen und so zu handeln, wie es der Kommunismus in Wirklichkeit erfordert. . .. Noch gefahrlicher ware es, wenn wir uns blo~ auf die Aneignung der kommunistischen Losungen beschranken wollten. Hatten wir diese Gefahr nicht rechtzeitig erkannt und nicht unsere ganze Arbeit auf die Beseitigung dieser Gefahr konzentriert, so wiirde die halbe oder ganze Million junger Burschen und Madchen, die sich nach einer solchen Unterweisung im Kommunismus als Kommunisten bezeichnen wiirden, der Sache des Kommunismus nur schweren Schaden zufiigen. 46 Hier taucht die Frage auf: wie mUssen wir all das fiir die Unterweisung im Kommunismus verkniipfen? Was miissen wir von der alten Schule, von der alten Wissenschaft iibernehmen? Die alte Schule behauptete, sie wolle einen allseitig gebildeten Menschen erziehen, und lehrte die Wissenschaften im allgemeinen. Wir wissen, dal,l, das eine vollkommene Heuchelei war, denn die ganze Gesellschaftsordnung beruhte auf der Teilung der Menschen in Klassen, in Ausbeuter und Unterdriickte. Die alte Schule, die durch und durch vom Klassengeist erfiillt war, vermitteIte natiirlich nur den Kindern der Bourgeoisie Kenntnisse. Jedes Wort dieser Schule war den Interessen der Bourgeoisie angepal,l,t. In diesen Schulen wurde die junge Generation der Arbeiter und Bauern nicht so sehr erzogen, als vielmehr fiir die Interessen eben dieser Bourgeoisie gedrillt. Diese Erziehung machte sich zur Aufgabe, geeignete Diener fiir die Bourgeoisie heranzubilden, die imstande sein sollten, fiir die Profite dieser Bourgeoisie zu arbeiten, ohne ihre Ruhe und ihr Nichtstun zu storen. Deshalb lehnen wir die aIte Schule ab und haben uns die Aufgabe gestellt, ihr nur das zu entlehnen, was wir fiir eine wirklich kommunistische Bildung brauchen. Hier komme ich auf jene Anschuldigungen und Anklagen gegen die aIte Schule, die man stlindig zu Mren bekommt und die zu ganz falschen Schliissen fiihren. Man sagt: die aIte Schule war eine Schule des Ochsens, des Drills. Das ist richtig, aber man mul,l, doch zwischen dem Schlecht en und Guten der alten Schule unterscheiden und das auswahlen, was fiir den Kommunismus notwendig ist. Die alte Schule war eine Schule des Ochsens, sie zwang die Menschen, sich eine Unmenge unbrauchbarer, iiberfliissiger, toter Kenntnisse anzueignen, die das Gehirn verkleisterten und die junge Generation zu Durchschnittsbureaukraten zurechtstutzten. Aber man wiirde einen schweren Fehler begehen, wenn man daraus den Schlul,l, ziehen wollte, dal,l, man Kommunist werden kann, ohne sich die Schatze des menschlichen Wissens anzueignen. Es ware irrig, zu glauben, dal,l, es geniigt, sich die kommunistischen Losungen, die Schlul,l,folgerungen der kommunistischen Wissenschaft anzueignen, ohne sich jene Summe von Kenntnissen zu eigen zu machen, deren Ergebnis der Kommusnismus ist. Ein Beispiel dafiir, wie der Kommunismus aus der Summe des menschlichen Wissens herausgewachsen ist, bildet der Marxismus. Ihr habt wohl gelesen und gehort, wie die kommunistische Theorie, die kommunistische Wissenschaft, die hauptsachlich von Marx begriindet worden ist, wie diese Lehre des Marxismus aufgehort hat, das Werk eines einzigen, wenn auch genialen Sozialisten des neunzehnten lahrhunderts zu sein, wie diese Lehre zu einer Lehre von Millionen und aber Millionen von Proletariern in der ganzen WeIt geworden ist, 47 die diese Lehre in ihrem Kampfe gegen den Kapitalismus anwenden. Und wenn man die Frage stellt: wie war es moglich, dafl, die Lehre Marxens die Herzen von Millionen und aber Millionen der revolutioniirsten Klasse ergreifen konnte? - so kann man darauf nur eine Antwort erteilen: das war moglich, weil Marx sich auf das feste Fundament des menschlichen Wissens stiitzte, das unter dem Kapitalismus errungen worden war, wei! er die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft studierte und die Unvermeidlichkeit der Entwicklung des Kapitalismus zum Kommunismus erkannte, vor allem aber, weil er auf Grund des exaktesten, griindlichsten und tiefsten Studiums dieser kapitalistischen Gesellschaft, der vollstandigen Beherrschung der gesamten Ergebnisse der damaligen Wissenschaft diesen Beweis lieferte. Alles, was die menschliche Gesellschaft geschaffen hatte, wurde von Marx kritisch verarbeitet; er liefl, keinen Punkt unberiicksichtigt. Alles, was der menschliche Gedanke geschaffen hatte, wurde von ihrn verarbeitet, der Kritik unterworfen, an der Arbt'~terbewegung erprobt, und dann zog er jene Schlufl,folgerungen, die Menschen, deren Gesichtskreis nicht iiber die bUrgerliche Gesellschaft hinausgeht oder die an die bUrgerlichen Vorurteile gebunden sind, nicht zu ziehen vermochten. Das miissen wir beriicksichtigen, wenn wir zum Beispiel von proletarischer Kultur reden. Ohne die klare Einsicht, dafl, nur durch eine genaue Kenntnis der Kultur, die im Laufe der gesamten Entwicklung der Menschheit geschaffen worden ist, nur durch eine Umarbeitung dieser Kultur eine proletarische Kultur aufgebaut werden kann - ohne eine solche Einsicht werden wir diese Aufgabe nicht losen. Die proletarische Kultur fallt nicht vom Himmel, sie ist nicht eine Erfindung von Leuten, die sich als Fachleute fUr proietarische Kultur bezeichnen. Das ist alles Unsinn. Die proletarische Kultur wird das Ergebnis der gesetzmafl,igen Entwicklung jener Summe von Kenntnissen sein, die die Menschheit unter dem Drucke der Gesellschaft der Kapitalisten, der Gutsbesitzer und Bureaukraten erworben hat. AIle diese Wege und Pfade fiihrten und fiihren zur proletarischen Diktatur, genau so, wie die von Marx umgearbeitete politische Oekonomie uns zeigte, wohin die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft fiihren mufl" und uns auf den tibergang zum Kiassenkampfe, zum Beginn der proletarischen Revolution hinwies. Wenn wir nicht selten sowohl von Vertretern der Jugend als auch von gewissen Verfechtern der neuen Bildung die Anklage gegen die alte Schule horen, dafl, das eine Schule des Paukens war, so sagen wir ihnen, dafl, wir von der alten Schule das iibernehmen miissen, was an ihr gut war. Wir brauchen nicht jene Methode der alten Schule zu 48 iibernehrnen, die dazu fiihrte, da~ man den Kopf des jungen Menschen mit einer Unmenge von Kenntnissen vollstopfte, die zu neun Zehnteln iiberfliissig und zu einem Zehntel entstellt waren. Das aber bedeutet nicht, da~ wir uns mit den kommunistischen Schlu~folge rungen begniigen und lediglich die kommunistischen Losungen auswendig lernen miissen. Damit wird man keinen Kommunismus schaffen. Man kann nur dann ein Kommunist werden, wenn man sich mit allen jenen Schiitzen des Wissens bereichert, die die Menschheit geschaffen hat. Wir brauchen das Biiffeln nicht, aber wir miissen das Gediichtnis jedes Lernenden durch die Kenntnis der grundlegenden Tatsachen entwickeln und vervollkommnen, denn der Kommunismus wird zu einer leeren Phrase, zu einem blo&n Aushiingeschild und der Kommunist zu einem einfachen Prahlhans, wenn er nicht aIle erworbenen Kenntnisse in seinem Bewu~tsein verarbeitet. Ihr mii~t euch diese Kenntnisse nicht nur aneignen, sondern sie auch kritisch priifen, urn nicht euren Geist mit unniitzem Zeug zu belasten, sondern durch die Kenntnisse aller Tatsachen zu bereichern, die fUr einen gebildeten Menschen von heute unerlii~lich sind .... Ihr mii~t euch zu Kommunisten erziehen. Die Aufgabe des Jugendverbandes besteht darin, seine praktische Tiitigkeit so zu gestalten, da~ die Jugend durch ihr Studium, ihre organisatorische Arbeit, ihren Zusammenschlu~ und ihren Kampf sich selbst und aIle diejenigen erziehe, die in ihr den FUhrer sehen, da~ sie Kommunisten erziehe. Die ganze